Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
überschüttet.«
Ein Beamter informiert ihn, dass der Questore nicht gestört werden dürfe, aber dass er ihm eine Nachricht hinterlassen wolle, um ihn an den Anruf zu erinnern. Daran wird er sich wohl von ganz allein erinnern, fürchte ich. Wenn es etwas gab, was Bernini wirklich wütend machte, dann war es Disziplinlosigkeit. Er diktierte die Regeln, seine Männer mussten sie respektieren. Ich hatte nur eine einzige und hab’s geschafft, mich nicht daran zu halten. Der zweite Gedanke ist noch schlimmer. Abgesehen davon, was habe ich ihm schon zu sagen? Welche Fortschritte habe ich gemacht?
Während er auf das Klingeln wartet, ruft Sernagiotto an. »Sag mal, findest du es in Ordnung, mitten in einer Ermittlung einfach so mal für vier Stunden zu verschwinden?«, bellt der Vizequestore.
»Entschuldigung«, gibt Roberto seelenruhig zurück. »Ich wollte eigentlich das Sekretariat der Kriminaltechnik sprechen, scheint, als hätte ich stattdessen die Zeitansage gewählt.«
Sernagiotto schnaubt. »Du verschwendest als Polizist dein Talent, du solltest lieber zum Kabarett gehen! Während du deinem Privatleben nachgegangen bist, habe ich gearbeitet. Es gibt keine Zweifel: Die drei sind Sergio, Elsa und Benedetta. Die Filipina hat sie wiedererkannt, allerdings mehr an der Kleidung als an den Gesichtern. Sie hat geheult wie ein Schlosshund.«
Die Tränen der Frau scheinen ihm in erster Linie lästig gewesen zu sein. Sein Tonfall ändert sich sofort: »Leute mit Kohle. Schließlich hat nicht jeder eine Villa am Colle della Guardia. Das ist die teuerste Gegend Bolognas. Und sie waren sogar dabei, sie zu renovieren. Ich versteh nicht, wie man da auf die Idee kommen kann, bei dir da am Arsch der Welt Urlaub zu machen.«
Vielleicht haben sie einen sicheren Zufluchtsort gesucht wie ich. Und auch sie haben ihn nicht gefunden. »Wusste die Filipina, wo?«
»In einem Dorf, das sich …« Einen Moment lang hört man nur das Rascheln von Papieren. »… Zocca nennt. Der Hausangestellten zufolge hatten sie vor, die Silvesternacht in einem Haus zu verbringen, das sie da hatten. Ich hab eine Streife hingeschickt, auch wenn sie dort nicht ermordet worden sind.«
Er macht eine kunstvolle Pause. Als er merkt, dass Roberto nicht anbeißt, fährt er enttäuscht fort: »Willst du mich nicht fragen, woher ich das weiß?«
Ich hasse es, zu betteln, aber er hat das Heft in der Hand. Brav sagt er sein Sprüchlein auf: »Und, woher weißt du das?«
»Hört, hört, die Zanarinis sind nicht mal losgefahren! Meine Leute haben gesagt, dass in der Villa alles voller Blut und Hirnmasse ist. Also«, fährt er fort, ohne seine Begeisterung noch länger zu verbergen, »sind sie dort ermordet worden. Es ist schwer, da was zu finden, überall sind massenhaft Fingerabdrücke von den Arbeitern des Unternehmens, das mit der Sanierung beauftragt ist. Die Autopsie wird jedoch allerspätestens morgen Nachmittag sein, ich hab’s geschafft, dass sie sie vorziehen. Nicht schlecht, was?«
Roberto ist angewidert. Sernagiotto freut sich darüber, herausbekommen zu haben, dass eine Familie ermordet wurde. Freut sich, weil überall Blut und Hirn eines Kindes an einer Mauer klebt. Er will gerade etwas sagen, da hält er inne. Eine Erinnerung blitzt auf. Ich habe diese Mauer gesehen. Ich habe davor gekniet.
»Und du? Was hast du für Neuigkeiten?«, bedrängt ihn der Vizequestore.
Eindrücke, fehlende Details. In diesem Sandkastenspiel gerate ich ins Schwimmen. In einem Meer, ach was, einem Ozean. Und ausgerechnet der Vizequestore kann ihm einen Rettungsring zuwerfen.
»Hör mal, ich könnte deine Hilfe brauchen«, sagt er und ist sich nur allzu bewusst, wie sehr er damit das Ego seines Gesprächspartners aufbaut.
»Also keine Fortschritte da bei euch, wenn ich mich nicht drum kümmere. Was kann ich für dich tun?«
»Kennst du jemanden bei der SIP ? Jemand Vertrauenswürdiges?«
»Ich kannte mal wen bei der SIP , jetzt kenn ich ihn bei der Telecom. Die haben den Namen gewechselt, auch wenn ihr da unten das noch nicht gemerkt habt.«
Roberto schluckt alle schneidenden Antworten herunter, die ihm auf der Zunge liegen. Ich brauche ihn. »Ich muss wissen, welche Anrufe in der Silvesternacht von einem bestimmten Anschluss abgegangen sind. Über die offiziellen Kanäle würde das zu lange dauern.«
Sernagiotto, geschäftstüchtig, kehrt zurück, das Tier mit dem eiskalten Blut. »Ich sag dir jetzt, wie das läuft, Serra. Wenn du willst, dass ich dir helfe,
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