Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Identität des Eindringlings enthüllen.
Das Blut rauscht in seinen Adern, er dreht sich blitzartig um und wirft sich auf Mattia Bondi.
Der Journalist versucht, die Kodak festzuhalten. »Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun«, ist das Letzte, was er sagen kann, bevor er umgerissen wird. Schmächtig, wie er ist, hat er Robertos Wut nichts entgegenzusetzen und kugelt den Hang hinunter. Der Fotoapparat landet einige Meter weiter unten. Roberto packt Bondi am Kragen seiner ausgeleierten Windjacke und reißt ihn wieder hoch.
»Mit solchen Scherzen fängt man sich leicht eine Kugel ein! Nach dem Mist, den du geschrieben hast, wär das vielleicht nicht mal das Schlechteste für dich!«, brüllt er ihn an, dann lockert er den Griff.
Der Journalist fasst sich theatralisch an den Hals, als wäre er einer versuchten Strangulation ausgesetzt gewesen. »Ich habe wortgetreu das wiedergegeben, was Sie mir gesagt haben, genauso wie bei den anderen.« Er beugt sich vor, um den Fotoapparat wieder aufzuheben.
Roberto rempelt ihn erneut an. Der andere zerreißt das Absperrband mit dem Rücken und fällt zu Boden. Die Brille fliegt weit davon.
»Du willst alles wortgetreu wiedergegeben haben? Dann erklär mir mal, wie Rende es geschafft hat, ganz erschüttert vom Anblick des Mädchens gewesen zu sein: Der ist doch gar nicht an die Leichen rangekommen!«
Die Überraschung des Journalisten scheint echt zu sein. Mit tränenerstickter Stimme stammelt er: »Er hat den Krankenwagen gefahren …«
»Der Krankenwagen hat da drüben gehalten.« Roberto zeigt auf einen Platz kurz hinter der Straßeneinmündung. Salvatore Rende ist ein pensionierter Maurer aus Sizilien, der tageweise als Freiwilliger im Rettungsdienst arbeitet. Sehr wahrscheinlich hatte tatsächlich er am Steuer des Krankenwagens gesessen, der mit Alice zusammen gekommen war, aber dank ihrer Anweisungen hatte er sich vom Tatort ferngehalten. Er konnte das Gesicht des Mädchens nicht gesehen haben.
»Ich schwöre Ihnen, dass er es mir genau so gesagt hat«, erklärt Bondi. Auf allen vieren sucht er die Brille. Als er sich wieder aufrappelt, behält er Roberto misstrauisch im Blick, um weiteren Angriffen zuvorzukommen.
»Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen«, jammert er. »Ich hab die Fotos nicht gebracht.«
»Wenn du das gemacht hättest, würdest du jetzt auch nicht mehr auf zwei Beinen nach Hause zurückkehren.«
Bondi hebt auch den Fotoapparat auf. Die Kamera in der Hand und mit ein paar Schritten Abstand zwischen sich und Roberto fasst er neuen Mut. »Ich könnte Ihnen noch nützlich sein, Ihnen helfen zu verstehen, wie die Leute hier denken. Zum Beispiel zu verstehen, was das Denkmal da in Ihrem Rücken bedeutet. Sie werden diesen Fall nicht lösen, wenn Sie nicht denken wie einer di nóster. Wir wollen doch dasselbe, Sie und ich. Wir sind gleich.«
Robertos Blick wird härter. Der Schädel eines Kindes, weggerissen durch einen Schuss aus einem Gewehr. Der Körper, der gegen die Mutter sackt, die auf dieselbe Weise ermordet wurde. »Ich denke, dass ich schon viel zu gut verstehe. Vergleich mich nicht mit dir. Ich muss herausfinden, wer diese Leute umgebracht hat, damit sie in Frieden ruhen können. Davon, was du machst und warum du das machst, will ich nichts wissen. Pass bloß auf, dass du mir nicht mehr vor die Füße kommst.«
Im Laufschritt schlägt er den Weg zurück zum Dorf ein und lässt den Journalisten zwischen den zwei im Wind flatternden Enden Absperrband stehen. Schnell findet er wieder in den Rhythmus seiner Schritte und Gedanken.
Schritt, auftreten, atmen. Schritt, auftreten, atmen. Der weiße Kleinbus. Schritt, auftreten, atmen. Rende hat die Leichen nicht gesehen. Schritt, auftreten, atmen. Guerzonis Traktor, der nicht an seinem Platz steht. Schritt, auftreten, atmen. Ich muss denken wie einer von hier, einer di nòster.Schritt, auftreten, atmen.
5
A ls er im Kommissariat über die Schwelle tritt, hält er die Stoppuhr an seiner Armbanduhr an, und ihm wird klar, dass er den ganzen Morgen weg gewesen ist. Manzinis vorwurfsvoller Blick und Ton bestätigen es ihm.
»Questore Bernini wollte dich sprechen. Besser, ich wiederhole dir nicht wörtlich, was er gesagt hat.«
Scheiße, ich habe ihn nicht informiert. Er stürzt sich direkt, ohne zu duschen, ans Telefon in seinem Büro. Manzini ruft ihm aus dem Zimmer gegenüber zu: »Sernagiotto hat auch angerufen. Mindestens ein Dutzend Mal. Der hat dich auch mit Komplimenten
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