Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
eigentlich gar nicht in sein Bild gepasst, ich habe mit den Ereignissen von 1945 nichts zu tun. Aber ich bin ein Hindernis. Eine Erkenntnis, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Bondi ist in Gefahr. Und Alice auch.
7
D ie Tür zu Mattia Bondis Wohnung ist so leicht, dass sie nicht einmal den Eindruck macht, aus Holz zu sein. Sie ist nur angelehnt. Von drinnen sind Geräusche zu hören. Stimmen.
Alice rührt sich nicht, aber ihr Herz fühlt sich wie ein Zug an, der mit irrer Geschwindigkeit dahinrast. Sie denkt an Robertos dringenden Rat, zur Rettungswache zu gehen, um Bernini anzurufen, sobald sie etwas Außergewöhnliches bemerkt. Das Problem ist, dass sie nicht genau sagen kann, ob das der Fall ist. Sie kann die Stimmen von mindestens zwei Personen unterscheiden, vielleicht der Journalist, der sich mit einem Freund unterhält. Oder er amüsiert sich mit seiner Freundin. Sie erinnert sich an die fettigen Haare und die hässliche Brille, die sie am Neujahrstag gesehen hat. Automatisch schließt sie die zweite Möglichkeit aus.
Im Halbschatten sieht sie einen langen Flur, etwa fünfzehn Meter lang. Eine Tür zur linken, zwei zur rechten Seite, eine am gegenüberliegenden Ende. Alle aufgerissen. Die Stimmen kommen aus dem Zimmer am anderen Ende.
»Scheiß auf die Vorsicht«, sagt sie. Und rennt los. Wie in einem Film sieht sie die Tür auf sich zukommen. In wenigen Sätzen ist sie durch den Flur, einen Aufschrei auf den Lippen. Sie wirft sich auf den Teppich mitten im Zimmer, die Waffe im Anschlag.
Zwei Männer. Auf dem Bildschirm des Fernsehers, in Schwarz-Weiß. Zwei Schauspieler, mit einem der ältesten Gags der Welt, sich gegenseitig eine Torte ins Gesicht werfend.
Wie betäubt bleibt sie einen Augenblick stehen, dann löst sich die Anspannung in einem lauten, hysterischen Lachanfall. Sie lässt die Waffe sinken. Sie steht auf und schaltet das Gerät aus. Mit einem Mal fühlt sie sich sehr müde, weil die Anspannung von ihr abgefallen ist. Sie mustert die Einrichtung. Möbel aus den Siebzigerjahren, die der Journalist bei seinem Einzug bereits vorgefunden haben muss. Am gegenüberliegenden Teil des Flurs sieht sie die immer noch offen stehende Eingangstür. Sie macht das Licht an. Schlagartig erkennt sie, dass ihre ganze Erleichterung unbegründet war. Ihr gefriert das Blut in den Adern.
Über den halben Flur ist an der rechten Wand mit einer roten, noch feuchten Flüssigkeit ein riesiges Ypsilon geschmiert. Es gibt kaum Zweifel, worum es sich handelt. Jetzt endlich bemerkt sie auch den Geruch.
»O mein Gott.« Sie hält die Beretta hoch. »Wenn du hier bist, heb die Hände hoch und komm raus!«, will sie rufen, doch sie bekommt nur einen schrillen Ton heraus. Er überzeugt nicht einmal sie selbst. Sie zittert. Nichts geschieht. Keine Bewegung.
Sie muss sich der Situation stellen. Sie ist am Zug. Sie beschließt, mit der ersten Tür zur Rechten anzufangen. Mit einer Hand richtet sie die Waffe ins Innere. Mit der anderen schaltet sie das Licht an.
Und sieht ihn.
Mattia Bondi liegt in einer Lache aus Blut mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, vor dem, was sein Bett sein muss. Ein Einzelbett, durchwühlt. Er trägt nichts als einen bläulichen, abgetragenen Schlafanzug. Der Mörder muss ihn im Schlaf überrascht, aus dem Bett gezerrt und hier im Zimmer getötet haben.
Alice beginnt zu überlegen, sie überwindet ihre Panikgefühle. Das Blut ist noch flüssig, es kann noch nicht lange her sein, dass er erschossen wurde. Vorsichtshalber tastet sie nach der Schlagader. Nichts. Er ist tot. Ein Schuss in den Nacken, aus einer weniger zerstörerischen Waffe als dem Gewehr, das bei den Zanarinis verwendet wurde. Und er ist nicht gefesselt worden wie sie. Sie versucht, ihn umzudrehen. Es ist nicht schwer, der Körper des Journalisten ist klein, und die Totenstarre wird erst in ein paar Stunden eintreten. Die Augen hinter den vom Aufschlag auf dem Boden zerbrochenen Brillengläsern sind geschlossen. Die Wangen jedoch sehen ungewöhnlich rund aus. Aus dem Mund quillt ein Knebel aus Papier.
Obwohl sie ganz genau weiß, dass es falsch ist, legt sie die Waffe aufs Bett und greift mit zwei Fingern nach dem zusammengeknüllten Papier. Als sie die andere Hand zu Hilfe nimmt, gelingt es ihr, dem Leichnam die Papierkugel aus dem Mund zu ziehen. Noch bevor sie sie auseinanderfaltet, erkennt sie die Zeitungsseite mit dem Artikel, der die Wiederaufnahme des Falls beschreibt. Jenen Artikel, den sie im Caffè
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