Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
fest.
Alice lässt den Motor wieder an, legt den Rückwärtsgang ein und versucht anzufahren. Die Reifen drehen durch. Sie lässt den Wagen ein paar Meter talabwärts rollen, dann dreht sie das Lenkrad, um ihn wieder in die richtige Richtung zu bringen. Sie schafft es lediglich, ihn zu drehen, während er weiter den Berg hinunterrutscht. Wieder landen sie im tiefen Schnee.
»Scheiße!«, ruft sie und haut auf das Lenkrad. »Wir sitzen fest.«
»Du hast schon ein Wunder vollbracht, indem wir überhaupt so weit gekommen sind. Lass uns rausfinden, wo wir sind.«
Mit Mühe drückt er die Tür auf. So weit das Auge reicht, ist die Welt ein einzige makellose Fläche. Himmel und Erde kann man nur durch die Richtung unterscheiden, in der die Flocken fallen, die kurz auf den Kleidungsstücken liegen bleiben, bevor sie schmelzen. Er spürt sie auf dem rasierten Nacken, sie dringen in den Mund ein und überwinden seinen schweren Atem. Eine junge Kastanie am Straßenrand neigt sich in einer Art Verbeugung vor der gewaltigen Kraft der Natur über die Straße. Sie hält nicht stand. Mit dumpfem Krachen zerbricht sie und verschwindet in der weißen Decke. Wir sind im Nirgendwo.
»Hier ist eine Straße«, ruft Alice. Obwohl sie nur wenige Schritte entfernt ist, ist sie kaum zu sehen. Die Anstrengung, zu ihr zu kommen, macht ihn schwindelig. Ich bin sehr schwach, es gibt kein Schmerzmittel, das das ausgleichen kann.
»Via Bel…ve…de…re. Via Belvedere!«, ruft sie aus. »Die kenne ich! Da ist die Rettungswache!«
Roberto fährt zusammen. Eine gute Nachricht. Ja, sogar zwei. »Also sind wir nur einen Kilometer von Case Rosse entfernt. In dieser Straße wohnt Mattia Bondi.« Er versucht, sie so resolut wie möglich anzusehen. »Geh zum Auto zurück, ich geh seine Wohnung überprüfen und danach ins Dorf hoch.«
»Machst du Witze? Du wartest im Auto auf mich, du kannst doch nicht einmal einen Kilometer gehen!«
»Das ist kein Spiel hier, ich sag’s dir noch einmal. Es besteht das Risiko, Auge in Auge einem Killer gegenüberzustehen, der mindestens vier Menschen umgebracht hat, der jetzt vielleicht sogar noch gefährlicher ist, weil er sich in die Enge getrieben fühlt.«
Alices Wangen, schon von der Kälte gerötet, färben sich noch röter. »Ich kenne dich viel zu gut. Du glaubst nicht, dass Bondi der Mörder sein könnte. Du glaubst nicht, dass er – trotz des Artikels – gemordet hat. Du willst es nur überprüfen, weil kein Detail so klein ist, dass es übergangen werden darf«, zitiert sie.
Roberto macht den Mund auf, schließt ihn jedoch sofort wieder. Es stimmt. Den Enkel des Partisanen Briscola zu ermorden passt nicht ins Bild des Mörders. Er rächt Sfregio, Bondi hat nichts damit zu tun. Er holt Luft, ohne zu antworten.
Alice breitet die Arme aus, als wäre die Debatte zu Ende. »Wir verschwenden hier nur unsere Zeit im Schneesturm, und dir tut das ganz sicher nicht gut. Die Wirkung der Medikamente hält nicht unendlich lange an. Ich gehe zu Bondis Wohnung. Du wartest im Auto auf mich.«
»Nein. Ich gehe nach Case Rosse, ich muss das alles verstehen. Ich brauche das.«
Robertos Blick ist von einer Entschlossenheit erleuchtet, die ihr klarmacht, dass sie es nicht schaffen wird, ihn davon abzubringen. »Und ich gehe zu Bondi. Punkt«, kann sie nur noch antworten.
Roberto seufzt. Wir können nicht so weiterdiskutieren. Die Zeit ist mein schlimmster Gegner. »In Ordnung. Aber sei vorsichtig. Seine Wohnung ist in dem Palazzo neben der Pizzeria. Wenn du irgendetwas Seltsames bemerkst, ruf sofort Bernini an.«
»Der wird aber sehr froh sein, von mir zu hören«, bemerkt sie ironisch. »Das letzte Mal, als er mich angerufen hat, ist es nicht gerade gut gelaufen. Und heute hab ich dir geholfen, aus dem Krankenhaus zu fliehen, obwohl es dir schlecht ging.«
»Scheiß drauf. Du rufst ihn an und basta.«
Sie nickt. Der Wind fährt durch ihre Haare. Sie zieht sich die Jacke aus und legt sie Roberto um die Schultern. »Warm zu bleiben wird dir nicht schaden.«
Er lässt es zu, er spürt, wie das Fieber steigt. Er nimmt die Beretta aus der Tasche.
»Nimm du sie. Ich hole meine im Kommissariat. Kannst du damit umgehen?«
Alice nimmt sie vorsichtig entgegen. »Ja, aber ich hoffe, ich muss sie nicht benutzen.«
Schweigen senkt sich zwischen sie herab. Plötzlich umarmt sie ihn, drückt ihren eigenen weichen Körper gegen den Gips. Legt ihre Wange an seine, die von Nähten überdeckt ist.
»Während du im Auto
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