Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Maggiore gelesen haben.
Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie kannte Mattia Bondi nicht, aber sie weiß, dass er in irgendeiner Weise Roberto geholfen hat. Dieser Gedanke lässt erneut die Alarmglocke in ihrem Kopf schrillen. Eine laute und durchdringende Glocke. Dieses Mal gibt es kein Ritual, keine Inszenierung. Nur einen brutalen Mord. Der Mörder hat seinen Modus Operandi geändert. Er tötet alle, die ihn behindern, nicht nur diejenigen, die direkt oder indirekt in das Massaker von 1945 verwickelt waren.
Wenn er noch in der Nähe wäre, würde er nicht zögern, auch sie zu ermorden: Sie behindert ihn, jetzt. Sie muss zur Rettungswache gehen, um Bernini anzurufen. Sie muss rennen.
»Und wer zum Teufel bist du jetzt?«
Eine Männerstimme in ihrem Rücken, so nah, dass sie seine Gegenwart spürt. Sie hat die anderen Türen im Flur nicht überprüft. Sie hat nicht einmal mehr Zeit, um Angst zu bekommen. Sie fährt herum, bereit, das ganze Magazin abzufeuern.
Sie denkt an Silvia. Wo auch immer sie sich befinden mag, sie bittet sie um Hilfe.
8
R oberto durchsucht jeden Winkel des Kommissariats so sorgfältig, wie es ihm sein eingegipster Oberkörper erlaubt. Er reißt die Tür zu Manzinis Büro auf, nur um zu entdecken, dass die Seufzer nichts anderes sind als der Wind, der durch das offene Fenster hereinweht und die Seiten von Die Wölfe kommen bewegt, das auf dem Schreibtisch liegt.
Wer auch immer dieses Gemetzel in seinem Zimmer angerichtet hat, hat auch die Waffe gestohlen und ist damit fortgegangen. Vielleicht in die Via Belvedere. Der Gedanke quält ihn. Er hat den entschlossenen Ausdruck in Alices Blick vor Augen. Die Angst krampft sich um seinen Magen, fügt Schmerz dem Schmerz hinzu. Wenn du mich nur hättest machen lassen, wie ich es wollte!
Hinter seinem eigenen Schreibtisch sitzend versucht er, ein letztes Körnchen Kraft zurückzugewinnen. Das Zimmer erscheint ihm anders, als er es sonst immer gesehen hat. Fremd. Nichts wird mehr sein wie früher, denkt er, während er das Funkgerät anstarrt, an dem er vor fünf Tagen den Anruf entgegengenommen hat, der sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat. Gelbe Scherben liegen überall auf dem Boden verstreut.
Er streckt die rechte Hand zum Hörer aus. Ein Telefonanruf, den er länger hinausgeschoben hat, als er gedurft hätte. Bevor der Schneesturm ihn zum Schweigen verdammt, wählt er eine Nummer. Er hat keine Ahnung, wie er die richtigen Worte finden soll. Er weiß nicht mehr, ob er sie überhaupt finden kann.
Teresa, Manzinis Frau, meldet sich beim ersten Klingeln, als hätte sie auf den Anruf gewartet. In ihrer Stimme schwingen Zärtlichkeit und Besorgnis mit. Was für eine Qual.
»Roberto! Ist Valerio bei dir?«
»Nein«, antwortet er. Er weiß nicht, was er sonst sagen soll. Ich wollte dir dieselbe Frage stellen.
»Seit Neujahr schon schläft er nicht mehr zu Hause. Ihr müsst euch irgendwann auch mal ausruhen. So macht ihr euch fertig.«
Arme Teresa, sie weiß nichts. »Er war nicht mal über Silvester zu Hause?«
Ein Zögern. »Er war doch bei dir im Kommissariat, oder? Er ist erst um sechs Uhr morgens nach Hause gekommen, um das Frühstück zu machen. Das ist eine Familientradition, dass er es am Ersten des Jahres macht.«
Wut überfällt ihn, vermischt mit ebenso großer Traurigkeit. Ich war das Alibi des Mörders. Die Zanarinis sind in der Silvesternacht ermordet worden. Wo war Manzini? Guerzoni ist in der Nacht zum 2. Januar gestorben. Wo war Manzini? Mein Auto ist in der Nacht zum 5. manipuliert worden. Wo war Manzini? Während er, vollkommen betrunken, demjenigen, den er für seinen Freund hielt, vom Tod seiner Eltern erzählte, wartete der nur darauf, seinen Plan, ihn zu ermorden, in die Tat umzusetzen.
Teresa gibt ihre Zurückhaltung und ihr Schweigen auf. Als wäre ein Korken gezogen, und die Worte könnten nun frei heraussprudeln. »Ich mache mir Gedanken. Seit sein Vater gestorben ist, ist Valerio nicht mehr derselbe. Paride hat Monate ans Bett gefesselt verbracht, er hatte eine unheilbare Krankheit, einen Hirntumor. In den letzten Wochen delirierte er, hat nur noch vom Krieg gesprochen. Die Hölle war das. Valerio hat ihn sehr geliebt, er hat bis zum Ende an seinem Bett gewacht.«
Paride Manzini, der Professore, der rechte Arm von Sfregio. Der Partisan, der Valerio adoptiert hat, den einzigen Ferri, der das Massaker vom Prà grand überlebt hat.
»Seitdem redet und weint Valerio im Schlaf. Ich muss ihn stundenlang im
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