Die toten Mädchen von Villette
und Physik Simone so unglaublich ähnlich war. Sie hatte er auf das Picknick mitgelockt, indem er erzählte, daß David Mendel ein Jugendfreund von ihm war, und daß er sicher einen Kontakt mit dem großen Professor vermitteln konnte. Aber schon der Gedanke, daß sie so scharf auf den verdammten David war, hatte gereicht, umihn dazu zu bringen, sie zu erwürgen, als sie gerade dasaßen und am Champagner nippten.
Sophie Héger hatte ebenfalls Simone-Potential gehabt, so blond und schön und selbstverständlich bei den Filmaufnahmen in Namur. Aber dieser schwedische Regisseursheini hatte sie nicht einen Augenblick in Ruhe gelassen, und er war gezwungen gewesen, sich mit einer kleinen, dummen Serviererin aus Namur zu begnügen, um die er sich gekümmert hatte, damit die Spannung nicht unerträglich wurde. Sophie ahnte nicht, was für ein Glück sie gehabt hatte. Wenn man es nun Glück nennen konnte, diesen Heini zu heiraten. Jedesmal wenn er sich vorstellte, wie sie im Dunkeln für Eskil Lind die Beine breit machte, konnte er spüren, daß er eine andere finden mußte, die er zum Picknick einladen konnte. Es waren ziemlich viele gewesen in diesen Jahren, in Frankreich und Belgien und Luxemburg und Deutschland. Und keiner hatte je etwas geahnt.
Nein, abgesehen davon, daß Simone tot war und nie zurückkommen würde, war alles für ihn so unglaublich gut gegangen, bis zu dem Tag, an dem er seine Fotoausstellung in Brüssel gehabt hatte und Simones Bruder zur Vernissage gekommen war. Er hatte Eric natürlich nicht erkannt, aber den Namen konnte er ja nicht überhören, als sie einander vorgestellt wurden, und er hatte mit einer Art Erschauern Erics Hand genommen, die Simones starken kleinen Händen so ähnlich war. Er hatte ihm seine Visitenkarte gegeben. Ein Fehler natürlich, er hätte sich erinnern sollen, wie listig Eric immer gewesen war, wieviel Spaß er an Rätseln und Puzzles und Chiffren gehabt hatte und wie oft er gekommen war und ihn gestört hatte, wenn er im Garten gesessen und noch einen Band von »Die Thibaults« gelesen hatte. Eric hatte ihn zu sich nach Hause auf eineCocktailparty eingeladen, und er war hingegangen, um seine Simone-Atmosphäre zu genießen und um zu sehen, ob es Erinnerungen an Simone in seiner Wohnung gab. Es gab welche, ein gerahmtes Porträt an der Wand und ein ganzes Regal voller wunderbarer Simone-Bilder. Er hatte gefragt, wer das sei, und Eric hatte arglos erzählt, das sei seine Schwester, die im Krieg gestorben sei. Er hatte auch erzählt, daß die Untersuchungsrichterin, über die in der letzten Zeit so viel in der Zeitung gestanden hatte, die Tochter der besten Freundin seiner Schwester sei. Auf diese Weise erfuhr er, daß die verfluchte Renée nicht nur das Lager überlebt, sondern auch Mann und Kinder bekommen hatte, all das, was Simone vorenthalten geblieben war. Aber vielleicht hatte er allzu interessiert gewirkt, denn Eric hatte ihn noch einmal eingeladen, allein. Und als Eric lächelnd sagte »klar bist du Roger de Wachter, stimmt’s«, hatte er mit Panik reagiert, eine Statuette aus Erics albern überladenem Arbeitszimmer an sich gerissen und ihn erschlagen. Er glaubte, daß Eric Simones grünes Notizbuch gefunden hatte. Er erinnerte sich noch, was er einmal darin gelesen hatte: »Ich glaube, der arme Roger ist verliebt in mich. Er wird langsam etwas lästig. Jetzt will er, daß ich ihn Jacques nenne, wie der Junge in diesem Roman, den er ständig liest. Er schreibt Briefe darüber.« Er hatte die Wohnung durchsucht und das Notizbuch nicht gefunden, obwohl er wußte, daß es einfach irgendwo sein mußte. Da war ihm plötzlich die Antiquitätenhändlerin eingefallen, die mit auf der Cocktailparty gewesen war und davon geredet hatte, daß sie sich um einen Koffer mit alten Kleidern von Erics Dachboden gekümmert habe. Das mußte der Koffer mit dem Geheimfach sein, in dem er und Eric immer Sachen versteckt hatten, als er noch so klein war, daß er es lustiger fand, mit Eric zuspielen, als mit Simone, dachte er. Er hatte die Antiquitätenhändlerin aufgesucht und gesagt, daß er sich für antikes Reisezubehör interessiere, und sie hatte erzählt, sie habe einen alten Koffer mit Inhalt einem Mädchen geschenkt, das in Vilvoorde wohne. Einen Louis-Vuitton-Koffer von der Jahrhundertwende verschenkt – kein Wunder, daß die Geschäfte so schlecht zu gehen schienen! Und dann hatte er das Koffermädchen gesehen und in ihr Renée erkannt, die zurückgekommen war, und ab da war
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