Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
und schließlich Baggerführer und Privatdetektive: Wir sind das nächste Glied in dieser Kette, wir stehen im Regen und sehen dabei zu, wie die Gerechtigkeit ein ums andere Mal verhöhnt wird.
Inzwischen habe ich mich aus meiner nassen Jacke und meinem nassen Hemd gewunden und mich mit einem Handtuch, das mir einer der Rettungssanitäter angeboten hat, abgetrocknet und einen frischen Anorak übergezogen. Meine Schuhe sind immer noch nicht wieder aufgetaucht, und meine Hose und meine Unterwäsche sind klatschnass, doch eine Lungenentzündung habe ich nicht mehr zu befürchten. Niemand nimmt Notiz von mir, wie ich da, auf dem Boden des Krankenwagens hockend, meine Beine zur Tür hinausbaumeln lasse und den Tatort eines momentan noch unbestimmten Verbrechens inspiziere.
Der Friedhof wurde inzwischen abgesperrt. Aus den zwei Polizeiautos sind mittlerweile zwölf geworden. Und aus den zwei Kombis sechs. Vor dem Haupteingang wurden Straßensperren errichtet, als wollte man sich dafür rüsten, einen Ansturm wütender Leichen aufzuhalten. Auf dem Boden liegen zwei Planen, und auf jeder Plane ruht eine gut gekleidete Leiche, eine vollständig, die andere halb verwest. Um sie vor der Witterung zu schützen, wurde über ihnen ein Stoffzelt errichtet. Irgendjemand hat ein gelbes Absperrband mit der Aufschrift »Bitte zurückbleiben« um das Zelt gespannt. Damit sich die Leichen nicht aus dem Staub machen. Männer und Frauen in Nylonanzügen untersuchen die Toten. Einige stehen auch am Seeufer. Sie sehen aus wie Taucher, die sich auf eine Tiefsee-Expedition vorbereiten, doch die Taucher sind noch gar nicht eingetroffen. Unter dem Zeltdach warten aufgeklappte Koffer voller Arbeitsgeräte und Beweismittel. Es regnet immer noch, und das hohe Gras wiegt sich im Wind. Der Bagger wurde inzwischen weggefahren, und den Sarg hat man ins Leichenschauhaus gebracht.
Ich schließe meinen Anorak und greife um mich herum nach einer zweiten Decke. Das Innere des Krankenwagens ist ein einziges Chaos, als wäre er auf der Herfahrt über Dutzende von Bodenwellen gerast: Keine Ahnung, wie die Sanitäter hier irgendwas finden. Ich lege mir die Decke um die Schultern und sehe zähneklappernd den paar Detectives zu, die sich hier haben blicken lassen. Bald werden weitere hier aufkreuzen. Wie immer. Bislang haben sie nicht viel mehr zu tun gehabt, als zwei Leichen und jede Menge Grabsteine zu begutachten. Die Leute in der Gegend können sie nicht befragen, da alle Nachbarn tot sind. Der Einzige, den sie befragen könnten, ist der Friedhofswärter, und der hat mit einem gestohlenen Lastwagen das Weite gesucht.
Inzwischen hat der Wind wieder aufgefrischt. Eicheln prasseln herab und hüpfen von den Grabsteinen. Wenn sie auf den Fahrzeugdächern landen, ertönt ein leises, metallisches Geräusch. Trotz des ganzen Aufwands sind bisher keine weiteren Leichen aus den dunklen Tiefen des Sees aufgetaucht. Ich blicke kurz zu dem Sanitäter hinüber. Es gibt niemanden, den er retten könnte. Er hat nichts weiter zu tun, als das ganze Spektakel zu beobachten, die Hände in die Hosentaschen zu stecken und bei mir zu bleiben. Wir sitzen alle im selben Boot. Wahrscheinlich harrt er so lange hier aus, bis er woanders zu einem Toten oder Sterbenden gerufen wird – Blut und Gliedmaßen, die über den Highway des Lebens verstreut sind, den er Tag für Tag sauber macht. Das Summen des Hubschraubers, der sich von Norden nähert, klingt wie ein Moskito. Ich betaste von außen meine Hosentasche und lasse meinen Finger über die Ausbuchtung von der Armbanduhr gleiten, die ich einer der Leichen abgenommen habe, nachdem wir sie aus dem Wasser gezogen hatten.
Einer der Gerichtsmediziner, ein Mann von Anfang fünfzig, der diesen Beruf fast sein halbes Leben lang ausgeübt hat, tritt aus dem Zelt und lässt seinen Blick über die kleine Gruppe von Leuten wandern. Als er mich entdeckt, geht er zu einem der Detectives. Sie reden ein paar Minuten miteinander, ganz ungezwungen – das entspannte Gespräch zweier Männer, die sich schon sehr oft über den Tod unterhalten haben. Als er zu mir rüberkommt, stößt er einen Seufzer aus, als wäre es schrecklich anstrengend, mit mir auf demselben Friedhof zu sein. Auch er hat die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Auf seiner Brille haben sich ein paar Regentropfen gesammelt. Ich stehe auf, ohne mich dabei vom Rettungswagen zu entfernen. Ich kann mir schon vorstellen, was der Gerichtsmediziner sagen wird. Schließlich habe
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