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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Angriff nehmen mußte, und daß er sich zwar sehr gebildet ausdrückte, aber nicht immer den Nagel auf den Kopf traf. Die Folge davon war, daß der Herr und der Bauer, wenn sie einander auch nicht geradezu mißverstanden, doch nicht ganz zusammenstimmten, es nicht fertigbrachten, gleichsam ein und denselben Ton zu singen.
    Tentetnikow machte bald die Beobachtung, daß auf dem herrschaftlichen Lande alles bedeutend schlechter gedieh als auf dem bäuerlichen. Es wurde dort früher gesät, aber die Saat ging später auf, und doch wurde, wie es schien, gut gearbeitet. Er war persönlich dabei anwesend und ließ sogar den Bauern für eifrige Bemühung ein Glas Schnaps verabfolgen. Bei den Bauern stand der Roggen schon längst in Ähren, der Hafer schüttete, die Hirse staudete, und bei ihm setzte das Getreide noch kaum erst dünne Ähren an. Kurz, der Herr bemerkte, daß der Bauer trotz aller gewährten Erleichterungen ihn einfach betrog. Er versuchte, ihm das vorzuhalten, bekam aber folgende Antwort: »Aber wie ist es denn denkbar, gnädiger Herr, daß wir nicht auf den Vorteil der Herrschaft bedacht sein sollten! Sie haben ja selbst gesehen, was wir uns beim Pflügen und Säen für Mühe gegeben haben; Sie ließen noch jedem von uns ein Glas Schnaps geben.« Was ließ sich darauf erwidern?
    »Aber woher kommt es denn, daß das Getreide so schlecht steht?« fragte der Herr.
    »Wer kann das wissen? Gewiß hat es der Wurm unten angenagt. Und was ist das auch für ein Sommer? Es hat ja gar nicht geregnet.«
    Aber der Herr sah, daß auf den Feldern der Bauern der Wurm das Getreide unten nicht angenagt hatte und auch der Regen in einer ganz seltsamen Art, nämlich strichweise, gefallen war: dem bäuerlichen Lande hatte er seine Wohltat zugewandt, während er den herrschaftlichen Fluren keinen Tropfen hatte zuteil werden lassen.
    Noch schwerer wurde es ihm, mit den Weibern zurechtzukommen. Fortwährend baten sie um Befreiung von den Arbeiten, indem sie über die schwere Last des Frondienstes klagten. Seltsam: er hatte alle Abgaben an Leinwand, Beeren, Pilzen und Nüssen aufgehoben und ihre übrigen Arbeiten auf die Hälfte verringert, in der Meinung, die Frauen würden nun die so ersparte Zeit auf die Hauswirtschaft verwenden, die Wäsche und Kleidung ihrer Männer instand halten und ihre Gemüsegärten vergrößern. Aber weit gefehlt! Müßiggang, Schlägerei, Klatschsucht und allerhand Zank nahmen nun beim schönen Geschlechte einen solchen Umfang an, daß die Männer alle Augenblicke mit Bitten folgender Art zu ihm kamen: »Gnädiger Herr, bringen Sie das schändliche Weibsstück zur Räson! Sie ist ja geradezu ein Teufel; es ist mit ihr nicht mehr zum Aushalten!«
    Er wollte sein Herz hart machen und zur Strenge greifen; aber wie konnte er streng sein? Da kam denn so eine Frau zu ihm und machte es, wie es eben die Weiber machen: sie heulte so und war so krank und elend und hatte sich in so häßliche, greuliche Lumpen eingewickelt, Gott mochte wissen, woher sie die nur genommen hatte! »Mach, daß du wegkommst! Geh mir nur aus den Augen! Es soll dir verziehen sein!« sagte der arme Tentetnikow und sah unmittelbar darauf, wie die Kranke, nachdem sie aus dem Tore heraus war, mit einer Nachbarin wegen einer Rübe handgemein wurde und sie so durchprügelte, wie es ein gesunder Bauer nicht besser gekonnt hätte.
    Er machte den Versuch, im Dorfe eine Schule einzurichten; aber das Resultat war eine solche Fülle von Widerwärtigkeiten, daß er allen Mut verlor und wünschte, er wäre gar nicht auf diesen Gedanken gekommen! Wenn er richterliche Untersuchungen anzustellen und Urteile zu fällen hatte, so zeigte es sich, daß all jene juristischen Feinheiten, die ihm seine philosophischen Professoren beigebracht hatten, völlig wertlos waren. Die eine Partei log, und die andere Partei log, und der Teufel mochte daraus klug werden! Und er sah ein, daß einfache Menschenkenntnis notwendiger war als all diese Feinheiten der juristischen und philosophischen Bücher; er sah ein, daß ihm etwas mangelte, aber was, das mochte Gott wissen. Und es begab sich, was sich so oft begibt: der Bauer verstand den Herrn nicht, und der Herr nicht den Bauer, und der Bauer wurde verdrießlich, und der Herr desgleichen. Alles dies hatte den Erfolg, daß der Eifer des Gutsbesitzers sich erheblich abkühlte. Wenn er bei den Arbeiten zugegen war, so wandte er ihnen keine Aufmerksamkeit mehr zu. Wenn die Sensen mit leisem Geräusch durch das Gras fuhren, das

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