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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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schlagen. Als sich aber der Weg durch eine enge Schlucht in das Dickicht eines gewaltigen, verwilderten Waldes hineinzog und er aufblickend und niederblickend, über sich und unter sich dreihundertjährige Eichen sah, welche drei Männer kaum umspannen konnten, untermischt mit Tannen, Ulmen und Schwarzpappeln, die noch höher waren als Pyramidenpappeln, und auf die Frage: »Wem gehört der Wald?« ihm geantwortet wurde: »Herrn Tentetnikow«; als dann der Weg sich aus dem Walde herausgearbeitet hatte und nun angesichts der in der Ferne sich hinziehenden Berghöhen durch Wiesen führte, an Espenhainen, jungen und alten Weidenbäumen und Weidensträuchern vorbei, und auf zwei Brücken an verschiedenen Stellen einen und denselben Fluß überschritt, indem er ihn bald rechts, bald links von sich ließ, und ihm auf die Frage: »Wem gehören die Wiesen und das Überschwemmungsgebiet?« geantwortet wurde: »Herrn Tentetnikow«; als darauf der Weg den Berg hinanstieg und über die flache Hochebene dahinlief, auf der einen Seite an noch nicht abgeernteten Feldern mit Weizen, Roggen und Gerste vorbei, auf der anderen Seite neben all den vorher durchfahrenen Örtlichkeiten hin, die sämtlich in verkürzter Entfernung wieder sichtbar wurden, und als der Weg, allmählich dunkler werdend, dann in den Schatten breitästiger Bäume tauchte, die bis dicht an das Dorf heran auf dem grünen Rasenteppich zerstreut standen, und die mit Schnitzwerk verzierten Bauernhäuser und die roten Dächer der steinernen Gutsgebäude hindurchschimmerten und die goldenen Kuppeln der Kirche herüberblitzten; als sein heiß pochendes Herz auch ohne zu fragen wußte, wohin er gelangt war: da machten sich die immer stärker gewordenen Empfindungen endlich in den laut gesprochenen Worten Luft: »Na, bin ich nicht bisher ein rechter Dummkopf gewesen? Das Schicksal hat mich zum Besitzer eines irdischen Paradieses gemacht, und ich habe mich dazu verdingt, totes Papier vollzukritzeln! Da habe ich mir nun Bildung und Wissen angeeignet und mir eine Menge von Kenntnissen erworben, die dazu nötig sind, um für meine Bauern ein Segenspender zu werden, einen ganzen Herrschaftsbezirk zu verbessern und die mannigfaltigen Obliegenheiten eines Gutsbesitzers zu erfüllen, der gleichzeitig Richter und Verwalter und Hüter der Ordnung ist; und was tue ich? Ich vertraue diesen Posten einem tölpelhaften Inspektor an und gebe mich für meine eigene Person lieber in der Ferne damit ab, die Prozesse von Leuten zu führen, die ich nie gesehen habe, und deren Charakter und Eigenschaften ich nicht kenne; ich ziehe der wirklichen Verwaltung meines Eigentums die papierne, phantastische Verwaltung von Provinzen vor, die Tausende von Wersten von mir entfernt liegen, wo ich in meinem Leben nie gewesen bin, und wo ich nur eine Menge von Fehlern machen und einen Haufen von Dummheiten anrichten kann!«
    Unterdessen wartete seiner noch ein anderes Schauspiel. Die Bauern hatten von der Ankunft ihres Herrn gehört und sich vor der Tür des Gutshauses versammelt. Die bunten Hauben, Mützen und Kopftücher der hübschen Weiber, die Kittel und malerischen, breiten Bärte der stattlichen männlichen Einwohnerschaft umgaben ihn von allen Seiten. Und als sie ihn mit den Worten begrüßten: »Du unser Wohltäter! Hast du unser gedacht!« und die alten Männer und Frauen in Erinnerung an seinen Großvater und Urgroßvater unwillkürlich zu weinen anfingen, da konnte auch er selbst die Tränen nicht zurückhalten. Und er dachte bei sich: »Soviel Liebe! Womit habe ich die verdient? Etwa damit, daß ich sie nie angesehen, mich nie um sie gekümmert habe?« Und er gelobte sich, künftig Mühen und Arbeiten mit ihnen zu teilen.
    So begann er denn, die Wirtschaft zu leiten und seine Anordnungen zu treffen. Er verringerte den Frondienst, indem er die Zahl der Tage, an denen der Bauer für die Gutsherrschaft zu arbeiten hatte, verminderte und ihm auf diese Art mehr Zeit für sich selbst ließ. Den dummen Inspektor jagte er fort. Er kümmerte sich selbst um alles, zeigte sich auf den Feldern, auf der Tenne, in den Scheunen, den Mühlen, am Anlegeplatze bei der Beladung und Abfahrt der Kähne und Schuten, so daß die Trägen schon anfingen, sich im Genick zu kratzen. Aber das dauerte nicht lange. Der Bauer hat einen scharfen Blick: er merkte bald, daß der Herr trotz seines lebhaften Eifers und trotz seiner Lust, vieles in Angriff zu nehmen, doch noch nicht verstand, wie und auf welche Weise er es in

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