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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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reizbar und brachten ihn dahin, daß er auf allerlei Kleinigkeiten achtete, denen irgendwelche Aufmerksamkeit zuzuwenden ihm früher gar nicht in den Sinn gekommen war. Fjodor Fjodorowitsch Ljenizyn, der Chef einer der Abteilungen, die in den prächtigen Sälen untergebracht waren, mißfiel ihm auf einmal sehr. Er fand an ihm eine Unzahl von Mängeln. Es schien ihm, daß Ljenizyn, wenn er mit Höherstehenden sprach, sich ganz und gar in eine Art von widerlich süßem Zucker verwandelte, dagegen in Essig, wenn er mit einem Untergebenen zu tun hatte, und daß er nach Art aller kleinlichen Menschen sich diejenigen, um es ihnen später heimzuzahlen, merkte, die an Festtagen nicht zur Gratulation zu ihm gekommen waren und sich nicht in die beim Portier ausliegende Liste eingetragen hatten; und infolgedessen empfand er gegen ihn einen nervösen Widerwillen. Eine Art von bösem Dämon trieb ihn an, etwas zu tun, worüber sich Fjodor Fjodorowitsch ärgern müßte. Er suchte mit besonderem Genusse nach solchen Möglichkeiten, und nicht ohne Erfolg. Einmal redete er zu ihm dermaßen derb, daß ihm die Behörde zu verstehen gab, er solle entweder um Verzeihung bitten oder seinen Abschied einreichen. Er tat das letztere. Sein Oheim, der Wirkliche Staatsrat, kam ganz erschrocken zu ihm und sagte in flehendem Tone: »Um Christi willen, ich bitte dich, Andrei Iwanowitsch! Was machst du nur? Wie kannst du nur eine so glücklich begonnene Karriere aufgeben, lediglich weil du an einen dir nicht zusagenden Vorgesetzten geraten bist! Ich bitte dich! Was tust du, was tust du? Wenn man auf dergleichen sehen wollte, dann würde ja kein Mensch im Dienst bleiben. Komm zur Vernunft; überwinde deinen Stolz und dein Selbstgefühl; geh zu ihm hin und sprich dich mit ihm aus!«
    »Darum handelt es sich nicht, lieber Onkel«, erwiderte der Neffe. »Es würde mir nicht schwerfallen, ihn um Verzeihung zu bitten. Ich habe mich vergangen; er ist mein Vorgesetzter, und ich hätte nicht so zu ihm reden dürfen. Um was es sich handelt, ist vielmehr dies. Auf mir ruht eine andere Dienstpflicht: ich habe dreihundert bäuerliche Seelen; mein Gut ist stark heruntergekommen, und mein Verwalter ist ein Dummkopf. Dem Staate erwächst wenig Schaden davon, wenn an meiner Statt irgendein anderer im Bureau sitzt und Akten abschreibt, aber ein großer Schaden, wenn dreihundert Menschen keine Abgaben bezahlen. Wie denken Sie darüber: ich bin Gutsbesitzer und habe als solcher meine Pflichten. Wenn ich meine Sorge darauf richte, die mir anvertrauten Leute zu behüten und zu bewahren und ihre Lage zu verbessern, und dem Staate dreihundert tüchtige, nüchterne, arbeitsame Untertanen stelle, leiste ich damit nicht ebensoviel wie so ein Abteilungschef Ljenizyn?«
    Der Wirkliche Staatsrat öffnete den Mund vor Verwunderung und blieb eine Weile in dieser Haltung. Einen solchen Redestrom hatte er nicht erwartet gehabt. Nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, begann er folgendermaßen: »Aber trotz alledem … aber wie kann man nur so … wie kann man auf dem Lande versauern wollen? Was ist für ein Verkehr denkbar zwischen … ? Hier triffst du doch manchmal auf der Straße einen General oder einen Fürsten … aber dort … Na, und dann die Gasbeleuchtung, und was uns das industrielle Westeuropa sonst gebracht hat; dort aber siehst du keinen Menschen als Bauern und Bauersfrauen. Warum in aller Welt, warum willst du dich dazu verurteilen, dein ganzes Leben unter rohen, ungebildeten Menschen zuzubringen?«
    Aber die beredten Vorstellungen des Oheims machten auf den Neffen keinen Eindruck. Das platte Land erschien ihm seit einiger Zeit als ein behaglicher Zufluchtsort, als ein Nährboden für Gedanken und Ideen, als das einzige Feld einer nützlichen Tätigkeit. Er hatte sich auch bereits die neuesten Bücher über Landwirtschaft beschafft. Kurz, vierzehn Tage nach diesem Gespräche befand er sich schon auf der Fahrt und in der Nähe jener Orte, wo er seine Kindheit verlebt hatte, nicht weit von jenem schönen Stückchen Erde, an dem kein Gast und Besucher sich satt sehen konnte. Ein neues Gefühl wurde in seinem Innern rege. In seiner Seele erwachten alte Empfindungen, die sich seit langer Zeit nicht mehr nach außen bemerklich gemacht hatten. Viele Örtlichkeiten hatte er schon ganz vergessen gehabt und betrachtete nun neugierig wie ein Fremder die sich darbietenden schönen Bilder. Und siehe da, auf einmal begann ihm, er wußte selbst nicht warum, das Herz stark zu

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