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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Schweigen bringen können, wenn sie reden wollte. Ihr bezaubernder, besonderer, nur ihr allein eigener Gang war so frei und furchtlos, daß alle ihr unwillkürlich aus dem Wege traten. In ihrer Gegenwart wurde ein schlechter Mensch verlegen und verstummte; der Dreisteste und Zungenfertigste fand ihr gegenüber keine Worte und geriet in Verwirrung; dagegen konnte der Blöde mit ihr reden, wie er noch nie in seinem Leben mit jemand geredet hatte, und von den ersten Augenblicken des Gespräches an schien es ihm, als habe er sie irgendwo und irgendwann schon einmal kennengelernt und ebendiese ihre Gesichtszüge schon irgendwo gesehen, als habe sich das in den Tagen der Kindheit begeben, in die seine Erinnerung nicht zurückreiche, in dem Hause von Verwandten, an einem vergnügten Abend, bei den fröhlichen Spielen einer Kinderschar; und noch lange nachher erschien ihm sein jetziges verständiges Alter trüb und öde.
    Ganz ebenso ging es Tentetnikow, als er mit ihr zusammenkam. Ein unerklärliches neues Gefühl hielt seinen Einzug in seine Seele. Sein langweiliges Leben wurde für einen Augenblick wie von einer Morgenröte erhellt.
    Der General nahm Tentetnikow anfangs sehr gut und freundlich auf; aber sie wollten nicht so recht miteinander harmonieren. Ihre Gespräche endeten gewöhnlich mit einem Streite und mit einer unangenehmen Empfindung auf beiden Seiten; denn der General konnte Entgegnungen und Widerspruch nicht leiden, und Tentetnikow seinerseits war ebenfalls ein empfindlicher Mensch. Natürlich verzieh er um der Tochter willen dem Vater gar vieles, und der Friede zwischen ihnen hatte Bestand, bis beim General zwei mit ihm verwandte Damen als Logierbesuch eintrafen: die Gräfin Bordyrewa und die Fürstin Jusjakina, ehemalige Hofdamen, die aber immer noch gewisse Verbindungen unterhielten, weshalb denn auch der General vor ihnen ein bißchen fuchsschwänzelte. Gleich von ihrer Ankunft an hatte Tentetnikow die Empfindung, als ob der General gegen ihn kühler würde, ihn nicht beachtete oder ihn wie einen Statisten behandelte; er sagte zu ihm in lässigem Tone: »Mein Lieber« und »Hör mal, Brüderchen«, und duzte ihn sogar. Das brachte unseren Tentetnikow schließlich in Harnisch. Aber die Zähne zusammenbeißend und seine Erregung gewaltsam unterdrückend, hatte er die Geistesgegenwart, in außerordentlich höflichem, sanftem Tone zu reden, während rote Flecke auf seinem Gesichte hervortraten und alles in ihm kochte. »Ich danke Ihnen, General, für Ihre wohlwollende Gesinnung«, sagte er. »Mit der Anrede ›du‹ fordern Sie mich zu intimer Freundschaft auf und verpflichten auch mich dazu, Sie ›du‹ zu nennen. Aber der Unterschied der Jahre steht einem solchen familiären Verkehr zwischen uns im Wege.« Der General wurde verlegen. Überlegend und die Worte abwägend, erwiderte er etwas stockend, er habe das Wort ›du‹ in anderem Sinne gebraucht; einem alten Manne sei es manchmal gestattet, zu einem jungen Manne ›du‹ zu sagen (seinen Rang erwähnte er dabei mit keiner Silbe).
    Selbstverständlich hörte damit der Verkehr zwischen ihnen auf, und Tentetnikows Liebe endete unmittelbar nach ihrem Entstehen. Das Licht, das für einen Augenblick vor ihm aufgeleuchtet war, erlosch wieder, und die darauf folgende Dämmerung war noch dunkler als die vorhergehende. Sein Leben kehrte wieder völlig zu der Form zurück, die der Leser zu Anfang dieses Kapitels kennengelernt hat: zum Stilliegen und Nichtstun. Im Hause nahmen Unsauberkeit und Unordnung überhand. Die Fußbodenbürste blieb den ganzen Tag über mit dem Kehricht zusammen mitten im Zimmer liegen. Ein Paar Hosen trieben sich sogar im Salon herum. Auf dem eleganten Tische vor dem Sofa lag ein Paar schmutzige Hosenträger, als wenn es einen Gast begrüßen wollte, und das Leben des Gutsherrn wurde so inhaltslos und schläfrig, daß nicht nur seine Gutsleute aufhörten, ihn zu respektieren, sondern beinahe die Hühner nach ihm pickten. Wenn er die Feder zur Hand nahm, so zeichnete er auf dem Papier stundenlang Brezeln, Häuschen, Hütten, Bauernwagen und Dreigespanne. Manchmal aber zeichnete die Feder wie selbstvergessen ganz von selbst, ohne daß der Herr sich dessen bewußt wurde, ein kleines Köpfchen mit feinen Zügen, mit schnellem, durchdringenden Blicke und einer ein wenig hochstehenden Haarsträhne, und der Herr sah mit Erstaunen, daß ein annäherndes Porträt jenes Mädchens entstanden war, von dem auch der größte Künstler kein vollkommen

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