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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Heu in Haufen gepackt, Getreideschober errichtet wurden und die Landarbeiten in seiner nächsten Nähe in vollem Gange waren, so blickten seine Augen in die Ferne; und wenn die Arbeit in weiterer Entfernung von ihm vorging, so suchten seine Augen nähere Gegenstände oder blickten seitwärts nach einer Windung des Flusses, wo am Ufer ein rotschnäbliger, rotbeiniger Vogel umherging. Sie beobachteten mit Interesse, wie der Vogel am Ufer einen Fisch fing, ihn quer im Schnabel hielt, wie wenn er überlegte, ob er ihn hinterschlucken sollte oder nicht, und gleichzeitig aufmerksam den Fluß entlang blickte, wo in der Entfernung ein anderer weißer Vogel sichtbar war, der noch keinen Fisch gefangen hatte, aber aufmerksam nach dem Artgenossen hinschaute, dem das gelungen war. Oder aber er kniff die Augen ganz zusammen, richtete den Kopf nach oben zum Himmelsgewölbe und ließ sein Geruchsorgan den Duft der Felder einfangen, sein Ohr sich erfreuen an den Stimmen der sangreichen Bewohner der Lüfte. Welch ein Konzert, wenn diese Stimmen von überallher, vom Himmel und von der Erde, sich zu einem einzigen harmonischen Chore vereinigen, in dem keine der andern hinderlich ist! Im Roggen schlägt die Wachtel; im Grase schnarrt der Wachtelkönig; über ihnen zwitschern die hin und her fliegenden Hänflinge; eine auffliegende Sumpfschnepfe stößt ihren blökenden Laut aus; die Lerchen trillern, sich im hellen Himmel verlierend, und wie Trompetentöne erklingt das Geschrei der Kraniche, die hoch oben am Himmel ihre Reihen in Gestalt von Dreiecken formieren. Die ganze Gegend verwandelt sich in Töne und widerhallt … O Schöpfer, wie schön ist doch deine Welt immer noch in der Einsamkeit, auf dem Lande, fern von den häßlichen großen Landstraßen und den Städten! Aber dann wurde ihm auch dies langweilig. Bald hörte er ganz auf, auf die Felder zu gehen, hockte in den Zimmern und mochte nicht einmal den Verwalter empfangen, der zur Berichterstattung kam.
    In der ersten Zeit sprach noch manchmal dieser oder jener Nachbar bei ihm vor, etwa ein Husarenleutnant a.D., so ein ganz mit Tabaksgeruch durchtränkter leidenschaftlicher Pfeifenraucher, oder auch ein früherer Student, der seine Studien vorzeitig abgebrochen hatte, einer extremen Richtung angehörte und seine Weisheit aus modernen Broschüren und aus Zeitungen schöpfte. Aber auch das wurde ihm langweilig. Die Gespräche dieser Herren kamen ihm allzu oberflächlich vor; ihr westeuropäisches Benehmen, und zwar sowohl ihre Kriecherei als auch ihre Ungeniertheit, z.B. die Art, ihm aufs Knie zu klopfen, all dies erschien ihm gar zu derb und unverhüllt. Er beschloß, all diese Bekanntschaften aufzugeben, und brachte dies in einer ziemlich schroffen Manier zur Ausführung. Als nämlich einer der angenehmsten jener oberflächlichen Plauderer über alles mögliche, ein Repräsentant der jetzt bereits im Aussterben begriffenen Gattung der bildungseifrigen Obersten a.D. und zugleich ein Vorkämpfer der neuen Denkweise, namens Warwar Nikolajewitsch Wischnepokromow, zu ihm kam, um sich einmal nach Herzenslust über Politik, Philosophie, Literatur, Moral und sogar über den Stand der englischen Finanzen auszusprechen, da ließ er ihm hinaussagen, er sei nicht zu Hause, war aber dabei unvorsichtig genug, sich am Fenster zu zeigen. Die Blicke des Gastes und des Wirtes begegneten einander. Der Gast murmelte natürlich vor sich hin: »Du Rindvieh!« und der Wirt sandte ihm ärgerlich ein Schimpfwort von ähnlichem Kaliber nach. Damit hatte ihr Verkehr ein Ende. Seitdem besuchte ihn niemand mehr.
    Er freute sich darüber und widmete sich ganz dem Nachdenken über das große Werk, das er über Rußland schreiben wollte. In welcher Weise er über dieses Werk nachdachte, hat der Leser bereits gesehen. Es bürgerte sich bei ihm eine sonderbare, sozusagen unordentliche Ordnung ein. Man kann indessen nicht in Abrede stellen, daß es auch Augenblicke gab, wo er gleichsam aus dem Schlafe erwachte. Wenn die Post die Zeitungen und Journale brachte und ihm darin der Name eines früheren Schulkameraden in die Augen fiel, der es bereits im Staatsdienste zu einer Stellung gebracht oder den Wissenschaften und der Sache der ganzen Menschheit einen erheblichen Dienst geleistet hatte, dann schlich sich ihm eine stille, geheime Traurigkeit ins Herz, und eine schmerzliche, stumme Klage über seine Tatenlosigkeit rang sich unwillkürlich hervor. Dann erschien ihm sein Leben widerwärtig und häßlich. Mit

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