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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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erklärte, die Hauptsache sei eine gute Handschrift und nichts anderes; ohne eine solche könne man weder Minister werden noch sonst ein hohes Staatsamt bekleiden. Mit großer Mühe und nur durch die Protektion seines Oheims gelang es dem jungen Manne endlich, in irgendeinem Ressort angestellt zu werden. Als er in einen prächtigen, hellen Saal hineingeführt wurde, der mit einem Parkettfußboden und lackierten Schreibtischen ausgestattet war und den Eindruck machte, als säßen hier die ersten Würdenträger des Reiches und entschieden über das Schicksal des ganzen Staates, und als er die Unzahl schöner Herren erblickte, die, den Kopf schräg haltend, geräuschvoll mit der Feder über das Papier dahinfuhren, und als man ihm selbst einen Platz an einem Tische anwies und ihn beauftragte, sogleich ein Schriftstück zu kopieren, das auch leider gerade einen recht unbedeutenden Inhalt hatte (der betreffende Schriftwechsel drehte sich um die Summe von drei Rubeln und zog sich schon ein halbes Jahr lang hin), da überkam den unerfahrenen Jüngling ein ganz sonderbares Gefühl: die Herren um ihn herum kamen ihm wie Schulknaben vor! Um die Ähnlichkeit vollständig zu machen, lasen manche von ihnen einen ins Russische übersetzten dummen Roman, den sie in die großen Blätter eines aufgeschlagenen Aktenstückes hineingeschoben hatten, wobei sie taten, als seien sie eifrig mit dem Aktenstück selbst beschäftigt, und jedesmal zusammenfuhren, wenn der Vorgesetzte in den Saal trat. Das alles kam ihm gar sonderbar vor, und seine frühere Tätigkeit erschien ihm bedeutsamer als die jetzige, die Vorbereitung auf den Staatsdienst besser als der Staatsdienst selbst. Er sehnte sich nach der Schule zurück. Und auf einmal glaubte er Alexander Petrowitsch, wie er leibte und lebte, vor sich zu sehen und wäre beinahe in Tränen ausgebrochen. Der Saal drehte sich um ihn im Kreise; die Beamten und die Tische verwirrten sich vor seinen Augen, und nur mit Mühe erwehrte er sich dieser plötzlichen Umnachtung seiner Sinne. »Nein«, dachte er bei sich, als er wieder zur Besinnung kam, »ich will mich ans Werk machen, wie kleinlich es mir auch am Anfang vorkommen mag!« Und nachdem er so selbst seinen Mut gekräftigt hatte, beschloß er, seinen Dienst nach dem Beispiele der anderen zu versehen.
    Wo ist das Leben ganz ohne Freuden? Freuden bietet selbst Petersburg trotz seines finsteren, mürrischen Äußeren. Auf den Straßen kracht ein grimmiger Frost von dreißig Grad. Heulend fegt die unholde Ausgeburt des Nordens, die Schneesturmhexe, über das Trottoir, verklebt die Augen der Passanten und pudert die Pelzkragen und die Schnurrbärte der Männer und die haarigen Schnauzen der Tiere; aber freundlich blinkt da oben irgendwo im vierten Stockwerk ein Fensterchen durch die wirbelnden Schneeflocken hindurch: da werden in einem gemütlichen Zimmerchen beim Scheine bescheidener Stearinkerzen und beim Summen des Samowars Gespräche geführt, die Herz und Seele erwärmen; da werden prächtige Partien aus den Werken eines jener begeisternden russischen Dichter vorgelesen, mit denen Gott sein Rußland begnadet hat, und Jünglingsherzen erbeben in einer Glut der Begeisterung, wie man sie nicht einmal unter dem Himmel des Südens antrifft.
    Tentetnikow gewöhnte sich bald an den Staatsdienst; indes wurde ihm dieser nicht zur Hauptsache und zum eigentlichen Zweck, wie er das ursprünglich angenommen hatte, sondern zu einem Gegenstande zweiten Ranges. Der Dienst zwang ihn zu genauerer Zeiteinteilung und ließ ihn die Minuten, die ihm verblieben, um so höher schätzen. Sein Oheim, der Wirkliche Staatsrat, begann schon zu glauben, daß sein Neffe es zu etwas bringen werde, als der Neffe plötzlich alles verdarb. Unter Andrei Iwanowitschs Freunden, deren er ziemlich viele hatte, befanden sich zwei, die das waren, was man »verbitterte Menschen« nennt. Sie gehörten zu jenen sonderbaren, unruhigen Charakteren, die keine Ungerechtigkeit, oder was ihnen als solche erscheint, mit Gleichmut ertragen können. Diese beiden Freunde, die im Grunde gutmütige Menschen waren, aber der rechten Selbstzucht ermangelten und für sich alle mögliche Nachsicht beanspruchten, während sie gleichzeitig anderen nichts verziehen, übten sowohl durch ihre flammenden Worte als auch durch ihr Benehmen, durch das sie eine edle Entrüstung über die herrschende Gesellschaft zum Ausdruck brachten, einen starken Einfluß auf Andrei Iwanowitsch aus. Sie machten ihn nervös und

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