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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Gunsten entschieden, von dem er noch nie etwas gehört hatte. Andächtig pries er dann die unermeßliche Barmherzigkeit der Vorsehung, ließ Dankgebete abhalten und begann sein liederliches Leben von neuem.
    »Er tut mir leid, wirklich leid«, sagte Platonow zu Tschitschikow, als sie von ihm Abschied genommen hatten und wegfuhren.
    »Ein verlorener Sohn!« versetzte Tschitschikow. »Solche Leute muß man gar nicht bedauern.«
    Und bald dachten sie beide nicht mehr an ihn: Platonow deshalb nicht, weil er für die Lage der Menschen nur denselben matten, schläfrigen Blick hatte wie für alles in der Welt. Sein Herz fühlte beim Anblick fremder Leiden allerdings aufrichtige Teilnahme und zog sich schmerzlich zusammen; aber diese Empfindungen prägten sich seiner Seele nicht tief ein. Ein paar Minuten darauf hatte er Chlobujew bereits wieder vergessen; er dachte an ihn deshalb nicht mehr, weil er auch an sich selbst nicht dachte. Tschitschikow aber dachte an Chlobujew deshalb nicht lange, weil tatsächlich alle seine Gedanken ernstlich mit dem soeben käuflich erworbenen Gute beschäftigt waren. Er war jetzt aus einem nur eingebildeten plötzlich der wirkliche, tatsächliche Besitzer eines nicht bloß eingebildeten Gutes geworden, und das machte ihn nachdenklich, und seine Gedanken und Pläne nahmen einen ruhigeren, solideren Charakter an und verliehen seinem Gesichte unwillkürlich einen bedeutsamen Ausdruck. »Geduld, Arbeit! Das ist nichts Schwieriges; damit bin ich schon in meiner allerfrühesten Kindheit bekannt geworden; das ist mir nichts Neues. Aber werde ich jetzt, in diesem Lebensalter, in der Geduld so viel leisten können wie in der Jugend?« Indes, wie er die Sache auch ansehen und welche Verwendung des gekauften Gutes er auch in Aussicht nehmen mochte, jedenfalls sah er ein, daß der Kauf für ihn vorteilhaft war. Er konnte so verfahren, daß er auf das Gut eine Hypothek aufnahm, nachdem er vorher das beste Land in Parzellen verkauft hatte. Er konnte es auch so machen, daß er das Gut selbst bewirtschaftete und ein Landwirt nach dem Muster Kostanschoglos wurde, der ihm als sein Nachbar und Wohltäter seine wertvollen Ratschläge nicht vorenthalten werde. Er konnte auch in der Weise vorgehen, daß er das Gut verkaufte und sich nur die entlaufenen und toten Seelen vorbehielt; das bot noch einen anderen Vorteil: er konnte dann überhaupt aus diesen Gegenden verschwinden und die Rückzahlung des von Kostanschoglo entliehenen Geldes unterlassen. Ein sonderbarer Gedanke! Tschitschikow hatte ihn nicht eigentlich selbst gebildet und gestaltet, sondern dieser Gedanke war plötzlich ganz von selbst vor ihn hingetreten und neckte ihn nun, lächelte ihn an und blinzelte ihm zu. So ein mutwilliger, schändlicher Gedanke! Wer mag nur der Schöpfer dieser Gedanken sein, die einen so plötzlich überkommen? … Tschitschikow war vergnügt, sehr vergnügt darüber, daß er jetzt Gutsbesitzer war, und zwar nicht Gutsbesitzer bloß so in der Einbildung, sondern ein wirklicher, richtiger Gutsbesitzer mit Land und allem Zubehör und mit Leuten, nicht etwa nur erträumten, nur in der Phantasie existierenden, sondern wirklich vorhandenen. Und allmählich begann er auf seinem Sitze ein bißchen zu hüpfen und sich die Hände zu reiben und sich selbst zuzublinzeln; auch hielt er seine Faust wie eine Trompete an den Mund und blies darauf eine Art Marsch und sprach sogar laut ein paar aufmunternde Koseworte zu sich selbst, wie »du kleiner Bullenbeißer«, »du liebes Kapaunchen«. Aber dann fiel ihm ein, daß er nicht allein war; er verstummte auf einmal und suchte, so gut es ging, den maßlosen Ausbruch seines Entzückens zu unterdrücken, und als Platonow, in der Meinung, diese Laute seien an ihn gerichtete Worte, ihn fragte: »Was?« antwortete er: »Oh, nichts.«
    Erst jetzt blickte er um sich und sah, daß sie schon lange durch ein schönes Wäldchen fuhren; rechts von ihnen zog sich eine allerliebste Reihe von Birken hin. Die hellen Stämme der Birken und Espen glänzten wie ein schneeweißer Staketenzaun und hoben sich schlank und leicht von dem zarten Grün der eben erst entfalteten Blätter ab. Die Nachtigallen schlugen laut in dem Haine um die Wette. Gelbe Waldtulpen sprenkelten den Rasen. Er konnte sich keine Rechenschaft darüber geben, wie er plötzlich an diesen schönen Fleck gelangt war, da sie doch noch soeben durch offenes Feld gefahren waren. Zwischen den Bäumen schimmerte eine weiße, steinerne Kirche hindurch,

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