Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sähe.«
»Aber wie soll ich das machen? Das weiß ich wahrhaftig nicht«, erwiderte Tschitschikow, »ich habe jetzt im ganzen nur zehntausend Rubel.« Dies war eine Unwahrheit; er hatte mit Einschluß des Geldes, das ihm Kostanschoglo geliehen hatte, zwanzigtausend; aber es widerstrebte ihm, soviel Geld auf einmal hinzugeben.
»Nein, ich bitte Sie inständig, Pawel Iwanowitsch! Ich brauche wirklich ganz notwendig fünfzehntausend Rubel.«
»Ich werde Ihnen fünftausend leihen«, warf Platonow dazwischen.
»Auf diese Weise geht es vielleicht!« sagte Tschitschikow und dachte bei sich: »Das trifft sich ja gut, daß er mir etwas borgen will.« Er ließ sich seine Schatulle aus der Kalesche bringen und entnahm ihr sofort zehntausend Rubel, die er Chlobujew gab; die übrigen fünftausend versprach er ihm am nächsten Tage zu bringen; d.h. er versprach es; in Wirklichkeit beabsichtigte er, ihm nur dreitausend zu bringen und die übrigen erst später, in zwei oder drei Tagen, wenn es ginge, wollte er diese Zahlung auch noch weiter hinausschieben. Pawel Iwanowitsch hatte eine besondere Abneigung dagegen, Geld aus den Händen zu geben. Wurde aber eine Zahlung unbedingt notwendig, so hielt er es doch immer noch für besser, das Geld erst morgen zu geben und nicht heute. Das heißt, er machte es gerade so wie wir alle. Es macht uns doch allen Vergnügen, jemanden, der uns um Geld bittet, hinzuhalten: mag er sich doch den Rücken in unserem Vorzimmer wund reiben! Als ob er nicht warten könnte! Was kümmert es uns, daß ihm vielleicht jede Stunde des Verzugs teuer wird und seine Geschäfte darunter leiden! »Komm morgen wieder, lieber Freund; heute habe ich keine Zeit.«
»Wo wollen Sie denn nachher wohnen?« fragte Platonow Chlobujew. »Haben Sie noch ein anderes Gütchen?«
»Ich muß nach der Stadt ziehen; da besitze ich ein kleines Häuschen. Das hätte ich sowieso tun müssen, nicht um meinetwillen, sondern um meiner Kinder willen: sie brauchen einen Religionslehrer, einen Musiklehrer und einen Tanzlehrer. Solche Lehrer sind ja auf dem Lande für kein Geld zu beschaffen.«
»Er hat keinen Bissen Brot und will seinen Kindern Tanzunterricht geben lassen!« dachte Tschitschikow.
»Merkwürdig!« dachte Platonow.
»Aber wir müssen doch unseren Handel begießen«, sagte Chlobujew. »Heda, Kirjuschka, bring uns doch eine Flasche Champagner!«
»Er hat keinen Bissen Brot, aber Champagner hat er«, dachte Tschitschikow.
Platonow wußte nicht, was er davon denken sollte.
Den Champagner hatte sich Chlobujew notgedrungen angeschafft. Er hatte nach der Stadt geschickt, um sich etwas zum Trinken holen zu lassen; aber in den Kaufläden erhielt er nicht einmal Kwas auf Borg, und etwas trinken wollte er doch gern. Ein Franzose jedoch, der kurz vorher mit Weinen aus Petersburg gekommen war, gewährte jedermann Kredit. Es war nichts zu machen; Chlobujew mußte ihm ein paar Flaschen Champagner abnehmen.
Der Champagner wurde gebracht. Sie tranken jeder drei Gläser und wurden recht heiter. Chlobujew ging ganz aus sich heraus: er wurde liebenswürdig und verständig und warf mit witzigen Bemerkungen und Anekdoten um sich. In seinen Reden bekundete sich eine große Welt- und Menschenkenntnis. Wie klar und richtig waren seine Anschauungen über viele Dinge; wie geschickt und treffend charakterisierte er mit wenigen Worten die benachbarten Gutsbesitzer; wie deutlich erkannte er die Mängel und Fehler eines jeden; wie genau wußte er mit der Geschichte der Herren Bescheid, die sich ruiniert hatten, woher es gekommen und wie es zugegangen war; in wie origineller, komischer Art verstand er ihre kleinsten Gewohnheiten darzustellen – die beiden Gäste waren von seiner Unterhaltung ganz bezaubert und waren bereit, ihn für einen der gescheitesten Menschen auf der Welt zu erklären.
»Mich wundert«, meinte Tschitschikow, »daß Sie bei so viel Geist nicht Mittel und Wege finden, um sich aus der Klemme zu ziehen.«
»Mittel und Wege weiß ich schon«, erwiderte Chlobujew und schüttete sofort einen ganzen Sack voll großartiger Projekte aus. Sie waren aber alle so absurd und seltsam und so wenig ein Ausfluß von Welt- und Menschenkenntnis, daß man nur die Achseln zucken und sagen konnte: »Herrgott, was für ein unermeßlicher Abstand ist doch zwischen dem Besitze von Weltkenntnis und der Fähigkeit, von diesem Besitze Gebrauch zu machen!« Die Voraussetzung, auf der alles beruhte, war: er müsse sich auf einmal irgendwoher
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