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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ordentlichen Lebenswandel führt, sich Geld erwirbt und es ansammelt, selbst dann traue ich ihm nicht. Auch den wird auf seine alten Tage der Böse betören, und er bringt dann alles mit einem Male durch. Und so sind sie alle, wahrhaftig: die Gebildeten und die Ungebildeten. Nein, es fehlt uns etwas anderes als die Bildung; aber was es ist, das weiß ich selbst nicht.«
    Auf dem Rückwege boten sich dieselben Bilder dar. Eine greuliche Unordnung trat ihnen überall in häßlicher Offenheit entgegen. Hinzugekommen war nur eine neue Pfütze mitten auf der Straße. Alles war verwahrlost und verkommen, sowohl bei den Bauern als bei dem Herrn. Ein wütendes Weib in einem schmierigen Rocke von grober Leinwand prügelte ein armes kleines Mädchen halb tot und schimpfte aus Leibeskräften unter Anrufung aller Teufel auf irgendeine dritte Person. Aus einiger Entfernung sahen zwei Bauern mit stoischem Gleichmute den Zornesausbruch des betrunkenen Weibes mit an. Der eine von ihnen kratzte sich unterhalb des Rückens, der andere gähnte. Es war, als ob auch die Häuser und die Dächer gähnten. Platonow fing bei ihrem Anblick ebenfalls an zu gähnen. Ein Flicken saß auf dem anderen. Auf einem Hause lag das ganze Hoftor oben darauf an Stelle des Daches; die zusammensinkenden Fenster waren mit Stangen gestützt, die aus dem herrschaftlichen Speicher entwendet waren. Augenscheinlich wurde bei der Wirtschaft dieselbe Methode zur Anwendung gebracht wie bei Trischkas Rock [13]   , bei dem die Aufschläge und Schöße abgeschnitten wurden, um die Ellbogen zu flicken.
    »Ihre Wirtschaft befindet sich in traurigem Zustande«, sagte Tschitschikow, als sie nach der Besichtigung zurückkehrten. Beim Eintritt in die Wohnung waren die beiden Gäste überrascht durch die Mischung von größter Armut und luxuriösem, modernem Tändelkram. Auf dem Schreibzeug saß ein kleiner Shakespeare; auf dem Tische lag ein elegantes Elfenbeinstäbchen, das den Zweck hatte, daß man sich mit ihm selbst den Rücken kratzte. Die Hausfrau war geschmackvoll und modern gekleidet und redete von der Stadt und von dem Theater, das dort kürzlich errichtet war. Die Kinder waren munter und fröhlich. Die Knaben und Mädchen waren schön angezogen, sehr hübsch und geschmackvoll. Besser wäre es allerdings gewesen, wenn sie Röckchen von bunter Hanfleinwand und einfache Hemden angehabt hätten und ohne sich von den Bauernkindern zu unterscheiden auf dem Hofe herumgelaufen wären. Die Hausfrau erhielt bald darauf Besuch von einer Dame, die enorm viel schwatzte und plapperte. Die Damen begaben sich fort nach den Zimmern der Hausfrau, und die Kinder liefen ihnen nach. So blieben die Männer allein.
    »Welchen Preis verlangen Sie nun also?« fragte Tschitschikow. »Offen gestanden, meine Frage hat den Sinn, daß ich den alleräußersten Preis hören möchte, denn das Gut befindet sich in schlechterem Zustande, als ich erwartet hatte.«
    »Ja, es ist in sehr üblem Zustande, Pawel Iwanowitsch«, antwortete Chlobujew. »Und das ist noch nicht alles. Ich will Ihnen kein Geheimnis daraus machen: von den hundert Seelen, die in der Revisionsliste stehen, sind nur fünfzig am Leben; so hat bei uns die Cholera gewütet, und andere haben sich ohne Paß entfernt, so daß man sie auch als tot rechnen muß. Denn wenn man sie auf gerichtlichem Wege zurückfordern wollte, so würde das ganze Gut von den Gerichtskosten verschlungen werden. Daher verlange ich nur fünfunddreißigtausend Rubel.«
    Tschitschikow begann selbstverständlich zu handeln.
    »Aber ich bitte Sie! Wie können Sie fünfunddreißigtausend fordern? Für ein solches Gut fünfunddreißigtausend! Na, seien Sie mit fünfundzwanzigtausend zufrieden!«
    Platonow schämte sich, das mit anzuhören. »Kaufen Sie es, Pawel Iwanowitsch!« sagte er. »Diesen Preis kann man für das Gut immer geben. Wenn Sie nicht fünfunddreißigtausend dafür geben wollen, dann legen mein Bruder und ich zusammen und kaufen es.«
    »Nun gut, dann will ich einwilligen«, sagte Tschitschikow, der einen Schreck bekommen hatte. »Gut also; aber nur unter der Bedingung, daß ich die Hälfte des Geldes erst in einem Jahre zu bezahlen brauche.«
    »Nein, Pawel Iwanowitsch! Darauf kann ich mich unter keinen Umständen einlassen. Die eine Hälfte müssen Sie mir jetzt gleich geben und das übrige in vierzehn Tagen. Ich könnte mir ja diese selbe Summe von der Bank als Hypothek geben lassen, wenn ich nur eine Möglichkeit der Rückzahlung

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