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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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hunderttausend oder zweihunderttausend Rubel verschaffen. Dann, meinte er, würde alles sich in die gehörige Ordnung bringen lassen, die Wirtschaft würde in Gang kommen, alle Löcher würden geflickt werden, die Einkünfte würden sich vervierfachen, und er würde imstande sein, alle seine Schulden zu bezahlen. Er schloß seine Auseinandersetzung mit den Worten: »Aber was soll ich machen? Es gibt keinen Wohltäter, der sich bereitfinden ließe, mir zweihunderttausend oder auch nur hunderttausend Rubel zu leihen. Offenbar ist es nicht Gottes Wille.«
    »Das fehlte auch noch«, dachte Tschitschikow, »daß Gott einem solchen Narren zweihunderttausend Rubel in den Schoß würfe!«
    »Ich habe allerdings noch eine alte Tante«, fuhr Chlobujew fort, »die drei Millionen Rubel besitzt; sie ist sehr fromm und gibt reichlich für Kirchen und Klöster; aber wenn sie einem Mitmenschen helfen soll, dann ist sie zäh. Das ist so eine Tante vom alten Schlage; es würde Sie interessieren, sie kennenzulernen. Sie hat allein gegen vierhundert Kanarienvögel, eine Menge Möpse und Gesellschafterinnen und endlich Diener von einer Art, wie man sie sonst jetzt gar nicht mehr findet. Der jüngste ihrer Diener ist etwa sechzig Jahre alt; aber trotzdem ruft sie ihn: ›Heda, Bursche!‹ Wenn ein Gast sich irgendwie unangemessen benimmt, so gibt sie Befehl, ihm bei Tische die Schüsseln nicht zu präsentieren, und dann werden sie ihm eben nicht präsentiert. So eine ist das!«
    Platonow lächelte.
    »Wie heißt sie denn und wo wohnt sie?« fragte Tschitschikow.
    »Sie wohnt bei uns in der Stadt und heißt Alexandra Iwanowna Chanasarowa.«
    »Warum wenden Sie sich denn nicht an sie?« fragte Platonow teilnehmend. »Ich möchte meinen, wenn sie erführe, in welcher Lage sich Ihre Familie befindet, so könne sie Ihnen ihre Hilfe nicht verweigern.«
    »Doch, doch, dessen ist sie sehr wohl fähig. Diese liebe Tante hat einen starren Charakter und ein Herz von Stein, Platon Michailowitsch! Zudem sind auch ohne mich genug Schmeichler da, die um sie herumscharwenzeln. Da ist sogar einer, der es darauf anlegt, Gouverneur zu werden; der drängt sich an sie heran unter dem Vorgeben, mit ihr verwandt zu sein … Erweisen Sie mir die Ehre«, sagte er plötzlich, sich zu Platonow wendend, »in der nächsten Woche gebe ich in der Stadt allen Adligen ein Diner.«
    Platonow machte große Augen. Er wußte noch nicht, daß es in Rußland, sowohl in den Hauptstädten wie in der Provinz, eine Menge von Pfiffikussen gibt, deren Leben ein ganz unlösbares Rätsel bildet. So einer hat, wie es scheint, alles durchgebracht, steckt bis über die Ohren in Schulden, verfügt über keine Mittel mehr, gibt aber trotzdem ein Diner, und alle Tafelnden sagen, daß dies das letzte Diner des Gastgebers sei und er gleich am nächsten Tage ins Schuldgefängnis werde abgeführt werden. Darauf vergehen zehn Jahre, und der Pfiffikus hält sich immer noch in der Gesellschaft, steckt noch tiefer in Schulden als vorher und gibt noch immer Diners, bei deren jedem alle Teilnehmer glauben, dieses sei das letzte, und davon überzeugt sind, daß der Gastgeber gleich am nächsten Tage ins Schuldgefängnis werde abgeführt werden.
    In Chlobujews Hause in der Stadt ging es ganz eigentümlich zu. An dem einen Tage zelebrierte dort ein Pope im Ornat eine Messe, und an einem anderen Tage hielten französische Schauspieler dort eine Probe ab. Manchmal war auch nicht eine Brotrinde da zu finden, und ein andermal wurden alle möglichen Schauspieler und Künstler da gastfrei aufgenommen und generös beschenkt. Es kamen in Chlobujews Leben mitunter so schwere Zeiten vor, daß ein anderer an seiner Stelle sich längst aufgehängt oder erschossen hätte; aber davor bewahrte ihn seine Religiosität, die bei ihm mit seiner Liederlichkeit eine wunderliche Mischung bildete. In solchen trüben Augenblicken las er die Lebensbeschreibungen von Märtyrern und Asketen, die ihren Geist geübt hatten, über das Unglück erhaben zu sein. Seine Seele wurde in solchen Zeiten ganz weich, sein Herz zerknirscht, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er betete, und (seltsam!) fast immer kam ihm von irgendwoher eine unerwartete Hilfe: entweder erinnerte sich irgendein alter Freund seiner und schickte ihm Geld; oder eine durchreisende Dame, die zufällig von seinem Unglück gehört hatte, sandte ihm in der impulsiven Großmut des weiblichen Herzens eine reiche Gabe; oder es wurde irgendwo ein Prozeß zu seinen

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