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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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mein tägliches Brot erwerben. Auf Schritt und Tritt Verführungen und Verlockungen; überall Feinde und Verderber und Räuber! Mein ganzes Leben war wie ein wilder Wirbelsturm oder wie ein Schiff, das mitten auf den Wogen von den Winden hin und her getrieben wurde. Ich bin nur ein schwacher Mensch, Durchlaucht!«
    Die Tränen stürzten ihm plötzlich stromweise aus den Augen. So wie er da war, warf er sich dem Fürsten zu Füßen: in dem Fracke von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino«, in der Samtweste mit der Atlaskrawatte, in den wundervoll sitzenden Beinkleidern und mit der schönen Haarfrisur, die den lieblichen Duft allerfeinster Eau de Cologne ausströmte; er warf sich hin und schlug mit der Stirn auf den Fußboden.
    »Weg von mir! Rufe Soldaten her, damit sie ihn wegschaffen!« sagte der Fürst zu dem eintretenden Diener.
    »Durchlaucht!« schrie Tschitschikow und umfaßte mit beiden Händen einen Stiefel des Fürsten.
    Ein Schauer lief dem Fürsten durch alle Adern.
    »Weg von mir, sage ich!« rief er noch einmal und bemühte sich, seinen Fuß aus Tschitschikows Umklammerung herauszureißen.
    »Durchlaucht, ich gehe nicht von hier fort, ehe Sie mich nicht begnadigt haben«, sagte Tschitschikow, der den Stiefel des Fürsten nicht fahren ließ und, als der Fürst zurücktrat, ihm in seinem Fracke von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino« auf dem Fußboden nachrutschte.
    »Weg, sage ich!« rief der Fürst mit jenem unerklärlichen Gefühle des Ekels, das der Mensch beim Anblicke eines häßlichen Insektes empfindet, ohne daß er den Mut hat, es mit dem Fuße zu zertreten. Er riß so heftig, daß Tschitschikow von dem Stiefel einen Stoß gegen die Nase, die Lippen und das rundliche Kinn bekam; aber dennoch ließ dieser den Stiefel nicht fahren und hielt ihn mit um so größerer Anstrengung umklammert. Zwei kräftige Gendarmen rissen ihn nur mit Mühe los, faßten ihn unter die Arme und führten ihn durch alle Zimmer. Er war blaß und mutlos und befand sich in jenem gefühllosen, furchtbaren Zustande, in dem sich der Mensch befindet, wenn er den dunklen, unabwendbaren Tod vor sich sieht, dieses Entsetzliche, gegen das sich unser ganzes Wesen sträubt.
    Gerade in der Tür, die auf die Treppe führte, begegnete ihnen Murasow. Ein Hoffnungsstrahl schimmerte plötzlich vor Tschitschikow auf. Im Nu hatte er sich mit unnatürlicher Kraft aus den Armen der beiden Gendarmen losgerissen und sich dem erstaunten alten Manne zu Füßen geworfen.
    »Aber lieber Pawel Iwanowitsch, was ist mit Ihnen?«
    »Retten Sie mich! Ich werde ins Gefängnis geführt, zum Tode …« Die Gendarmen ergriffen ihn wieder und führten ihn weiter, ohne ihn ausreden zu lassen.
    Ein dumpfiger, feuchter Verschlag, erfüllt von dem Geruche der Stiefel und Fußlappen der Wachmannschaft, mit einem unangestrichenen Tische, zwei plumpen Stühlen, einem durch ein eisernes Gitter verwahrten Fenster, einem defekten Ofen, der nur aus vielen Ritzen rauchte, aber keine Wärme gab: das war die Behausung, in der unser Held untergebracht wurde, der schon die Süßigkeiten des Lebens zu kosten begonnen hatte und nun in seinem feinen neuen Fracke von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino« die Aufmerksamkeit seiner Landsleute hatte auf sich ziehen wollen. Es wurde ihm nicht einmal gestattet, die notwendigsten Sachen und die Schatulle mit seinem Gelde zu holen. Seine Papiere, die Kaufkontrakte über die toten Seelen, alles befand sich jetzt in den Händen der Beamten. Er warf sich auf die Erde, und hoffnungsloser Kummer schlang sich wie ein fleischfressender Wurm um sein Herz. Mit zunehmender Geschwindigkeit begann dieser Wurm an seinem wehrlosen Herzen zu nagen. Noch ein solcher Tag, ein Tag voll solchen Kummers, und Tschitschikow wäre nicht mehr unter den Lebenden gewesen. Aber auch über Tschitschikow wachte eine allrettende Hand. Eine Stunde darauf öffnete sich die Tür des Gefängnisses, und der alte Murasow trat herein.
    Wenn einem von brennendem Durste gequälten, vom Staube der Landstraße bedeckten, matten, erschöpften Wanderer jemand einen Strahl frischen Quellwassers in die ausgetrocknete Kehle gösse, so könnte dieser dadurch nicht so erfrischt und belebt werden wie der arme Tschitschikow durch den Anblick des alten Mannes.
    »Mein Retter!« rief Tschitschikow, und immer noch auf dem Boden liegend, auf den er sich in seiner gramvollen Verzweiflung geworfen hatte, ergriff er seine Hand, küßte sie schnell und drückte sie an seine

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