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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Brust. »Gott lohne es Ihnen, daß Sie zu einem Unglücklichen kommen!«
    Er brach in Tränen aus.
    Der alte Mann sah ihn mit einem tief schmerzlichen Blicke an und sagte nur: »Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch, was haben Sie getan!«
    »Was sollte ich tun? Der Böse hat mich ins Verderben gestürzt. Ich konnte nicht Maß halten; ich verstand nicht, rechtzeitig haltzumachen. Der Teufel hat mich verführt, daß ich die Grenzen des Verstandes und der Vernunft überschritt. Ich habe mich vergangen, ich habe mich vergangen! Und doch, wie konnte man mich so behandeln? Einen Adligen, einen Adligen ohne Gericht und ohne Untersuchung ins Gefängnis zu werfen! Einen Adligen, Afanasi Wasiljewitsch! Mir nicht einmal Zeit zu geben, um nach Hause zu gehen und über meine Sachen die nötigen Anordnungen zu treffen! Es ist ja dort in meiner Wohnung jetzt alles ohne Aufsicht. Meine Schatulle, Afanasi Wasiljewitsch, meine Schatulle! In der liegt ja mein ganzes Vermögen, das ich mir mit meinem Schweiße und Blute in langen Jahren der Mühen und Entbehrungen erworben habe. Meine Schatulle, Afanasi Wasiljewitsch! Man wird mir ja alles stehlen und wegschleppen. O mein Gott!«
    Er war nicht imstande, den Ausbruch der Verzweiflung, die ihn von neuem ergriff, zu unterdrücken, schluchzte so laut, daß es durch die Gefängnismauern drang und in der Ferne dumpf widerhallte, riß sich die Atlaskrawatte ab, ergriff mit der Hand seinen Rockkragen und riß den Frack von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino« auf seinem Leibe entzwei.
    »Ach, Pawel Iwanowitsch, wie hat Sie doch das Geld verblendet! In dieser Verblendung haben Sie nicht gesehen, in welcher furchtbaren Lage Sie sich befanden.«
    »Retten Sie mich, mein Wohltäter, retten Sie mich!« schrie der arme Pawel Iwanowitsch verzweifelt und warf sich ihm zu Füßen. »Der Fürst liebt Sie; um Ihretwillen wird er alles tun!«
    »Nein, Pawel Iwanowitsch, ich vermag Ihnen nicht zu helfen, wie gern ich es auch möchte, wie sehr es auch mein Wunsch ist. Sie sind in die Hände des unerbittlichen Gesetzes gefallen, nicht in die Gewalt irgendwelches Menschen.«
    »Der Teufel selbst, der Feind des Menschengeschlechtes, hat mich verführt!«
    Er stieß mit dem Kopfe gegen die Wand und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß ihm die Hand blutete; aber er fühlte weder den Schmerz im Kopf noch die Verletzung der Hand.
    »Beruhigen Sie sich, Pawel Iwanowitsch; denken Sie daran, wie Sie sich mit Gott versöhnen können, und nicht mit den Menschen; sorgen Sie für Ihre arme Seele!«
    »Aber was habe ich für ein trauriges Schicksal, Afanasi Wasiljewitsch! Ist jemals einem Menschen ein so trauriges Schicksal beschieden gewesen? Mit einer sozusagen selbstmörderischen Geduld und mit schwerer Mühe und Arbeit habe ich jede Kopeke erworben, ohne jemanden zu berauben oder die Staatskasse zu bestehlen, wie das so viele tun. Und wozu suchte ich mir Geld zu erwerben? Um den Rest meiner Tage behaglich zu verleben und meiner Frau und den Kindern etwas zu hinterlassen; denn ich hatte vor, zum Heile und Nutzen des Vaterlandes eine Familie zu gründen. Das war der Zweck, zu dem ich mir etwas erwerben wollte! Ich bin krumme Wege gegangen, das bestreite ich nicht, krumme Wege; aber konnte ich anders? Die krummen Wege habe ich erst da eingeschlagen, als ich sah, daß auf geradem Wege nicht vorwärtszukommen war, und daß der krumme Weg eher zum Ziele führte. Aber ich habe mich redlich abgemüht und abgequält. Wenn ich nahm, so nahm ich von den Reichen. Wie anders machen es die Schurken, die bei den Gerichten Tausende aus der Staatskasse stehlen und die armen Leute ausplündern und denen, die nichts haben, die letzte Kopeke abzwacken! … Und sagen Sie selbst: kann man sich ein ärgeres Unglück denken? Jedesmal, wenn ich mich anschickte, die Früchte meiner Tätigkeit zu ernten, und sie sozusagen schon mit der Hand berührte, dann kam jedesmal ein Sturm und trieb mein Lebensschifflein auf ein verdecktes Riff und zerschellte es in Splitter. Einmal besaß ich schon ein Kapital von dreihunderttausend Rubeln und ein dreistöckiges Haus; zweimal habe ich mir schon ein Gut gekauft. Ach, Afanasi Wasiljewitsch, womit habe ich so viel Unglück, so schwere Schicksalsschläge verdient? Glich mein Leben nicht auch ohnedies schon einem Kahne mitten in den Wogen? Wo bleibt da die Gerechtigkeit des Himmels? Wo bleibt da der Lohn für meine Geduld, für meine beispiellose Ausdauer? Dreimal habe ich ganz von

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