Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vorn angefangen; nachdem ich alles verloren hatte, fing ich von neuem mit einer Kopeke an, während mancher andere sich schon längst aus Verzweiflung dem Trunke ergeben hätte und in der Schenke zugrunde gegangen wäre. Wieviele Hindernisse habe ich überwinden, wieviel Mühsal ertragen müssen! Jede Kopeke habe ich mir sozusagen mit höchster geistiger Anstrengung erarbeitet! Während es anderen leicht zufiel, war für mich jede Kopeke, wie man zu sagen pflegt, mit einem starken Nagel festgenagelt, und ich hatte eine eiserne, unermüdliche Geduld nötig, um diese festgenagelte Kopeke loszubekommen, das weiß Gott!«
Vor unerträglichem Seelenschmerze schluchzte er laut auf, sank auf einen Stuhl, riß den einen zerrissen herunterhängenden Frackschoß vollends ab und schleuderte ihn von sich; mit beiden Händen fuhr er sich in das Haar, mit dessen festsitzender Frisur er sich früher so viel Mühe gegeben hatte, und raufte es sich erbarmungslos aus; er fand einen Genuß im physischen Schmerze, durch den er den unstillbaren Seelenschmerz zu übertäuben suchte.
Lange saß Murasow ihm schweigend gegenüber und betrachtete dieses ungewöhnliche Schauspiel, ein Schauspiel, wie er es bisher noch nie gesehen hatte. Der unglückliche, erbitterte Mensch, der noch vor kurzem mit der ungezwungenen Gewandtheit eines Weltmannes oder Militärs herumgeflattert war, wand sich jetzt in unwürdiger äußerer Erscheinung, mit zerzausten Haaren, zerrissenem Frack, aufgeknöpften Beinkleidern und blutig geschlagener Hand umher und stieß Verwünschungen gegen die feindlichen Mächte aus, die dem Menschen zu schaden suchen.
»Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch, was wäre aus Ihnen für ein Mensch geworden, wenn Sie sich ein edleres Ziel gesteckt und mit dieser selben Kraft und Ausdauer ihm nachgetrachtet hätten! O Gott, wieviel Gutes hätten Sie wirken können! Wenn doch nur einige wenige von den Menschen, die das Gute lieben, zu seiner Erreichung so große Anstrengungen machen wollten, wie Sie zum Erwerb Ihres Geldes, und es verständen, ihre Eigenliebe und Ehrsucht ohne Rücksicht auf ihre Person so dem Guten zum Opfer zu bringen, wie Sie sich selbst nicht geschont haben, um zu Gelde zu gelangen – o Gott, wie herrlich würde dann unser Land aufblühen! … Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch, das Betrübende ist nicht, daß Sie andern gegenüber, sondern daß Sie sich selbst gegenüber eine Schuld auf sich geladen haben, den reichen Kräften und Gaben gegenüber, die Ihnen zuteil geworden waren. Sie waren dazu bestimmt, ein bedeutender Mensch zu werden; aber Sie haben sich selbst verdorben und zugrunde gerichtet.«
Es ist das eine geheime Eigenheit der menschlichen Seele: mag auch der verlorene Sohn vom rechten Wege noch so weit abgeirrt sein, mag auch der unverbesserliche Verbrecher noch so verstockt und gefühllos geworden sein und sich in sein lasterhaftes Leben noch so sehr verrannt haben, aber wenn man ihm vorhält, was er ursprünglich für ein guter Mensch gewesen ist, was für schöne Eigenschaften er besessen, aber entehrt und geschändet hat, dann fühlt er sich unwillkürlich gepackt und in den Grundfesten seines Wesens erschüttert.
»Afanasi Wasiljewitsch«, sagte der arme Tschitschikow und ergriff mit beiden Händen dessen Hände, »o wenn es mir gelänge, die Freiheit wiederzuerlangen und mein Vermögen zurückzubekommen! Ich schwöre Ihnen, ich würde von nun an ein ganz anderes Leben führen! Retten Sie mich, mein Wohltäter, retten Sie mich!«
»Was kann ich tun? Ich müßte gegen das gesetzliche Verfahren ankämpfen. Und selbst wenn ich mich dazu entschlösse, so ist doch der Fürst gerecht und wird unter keinen Umständen nachgeben.«
»O mein Wohltäter, Sie vermögen alles durchzusetzen. Was mich ängstigt, ist nicht das gesetzliche Verfahren (demgegenüber würde ich schon Mittel finden), sondern der Umstand, daß ich unschuldig ins Gefängnis geworfen bin, daß ich hier umkomme wie ein Hund, und daß mein Vermögen, meine Papiere, meine Schatulle … Retten Sie mich!«
Er umschlag die Füße des alten Mannes und benetzte sie mit Tränen.
»Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch«, sagte der alte Murasow, indem er den Kopf hin und her wiegte, »wie hat Sie dieses Geld verblendet. Um seinetwillen kümmern Sie sich nicht um Ihre arme Seele.«
»Ich denke auch an meine Seele; aber retten Sie mich!«
»Pawel Iwanowitsch«, sagte der alte Murasow und hielt dann ein Weilchen inne – »Sie
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