Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
in voller Ausrüstung trat herein: »Sie haben sofort zum Generalgouverneur mitzukommen!« Tschitschikow war starr vor Schreck! Vor ihm stand eine furchtbare Gestalt mit einem Schnurrbart, einem Roßhaarbusch auf dem Kopfe, einem Bandelier um die eine Schulter, einem Bandelier um die andere Schulter und einem gewaltigen Pallasch an der Seite. Es schien ihm, als ob an der anderen Seite auch ein Gewehr und Gott weiß was sonst noch alles hing: die eine Person machte den Eindruck eines ganzen Heeres! Er wollte etwas erwidern, aber die furchtbare Gestalt wiederholte in grobem Tone: »Sie sollen sofort mitkommen!« Er blickte durch die offene Tür in das Vorzimmer und sah, daß dort noch eine zweite derartige furchtbare Gestalt stand; er blickte durchs Fenster: dort hielt ein Wagen. Was war zu machen? So wie er war, in dem Frack von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino«, mußte er einsteigen und fuhr, am ganzen Leibe zitternd, zum Generalgouverneur; der Gendarm saß neben ihm.
Im Vorzimmer ließ man ihm keine Zeit, zur Besinnung zu kommen: »Gehen Sie hinein; der Fürst erwartet Sie schon«, sagte der diensthabende Beamte. Wie durch einen Nebel sah er das Vorzimmer mit den Kurieren, welche Briefe in Empfang nahmen, und dann den Saal, durch den er hindurchging, indem er dachte: »So wird man festgenommen, und dann heißt es ohne Gerichtsverfahren und ohne alles geradeswegs nach Sibirien!« Sein Herz klopfte so heftig, wie es kaum bei dem eifersüchtigsten Liebhaber der Fall ist. Endlich öffnete sich die verhängnisvolle Tür: vor ihm lag das Arbeitszimmer des Generalgouverneurs mit Aktenmappen, Schränken und Büchern, und darin stand der Fürst, so zornig, als wenn er eine Personifikation dieses Affektes wäre.
»Ich bin verloren, ich bin verloren!« sagte sich Tschitschikow. »Er wird mich zerreißen wie der Wolf das Lamm.«
»Ich habe Sie geschont und Ihnen erlaubt, in der Stadt zu bleiben, während Sie im Gefängnis sitzen müßten; aber Sie haben sich von neuem mit der ehrlosesten Schurkerei befleckt, die je ein Mensch begangen hat.« Die Lippen des Fürsten bebten vor Zorn.
»Mit was für einer Ehrlosigkeit, Durchlaucht? Mit was für einer Schurkerei?« fragte Tschitschikow, am ganzen Leibe zitternd.
»Die Frau«, erwiderte der Fürst, indem er etwas näher an ihn herantrat und ihm gerade ins Gesicht blickte, »die Frau, die auf Ihr Geheiß das Testament mit dem falschen Namen unterschrieben hat, ist festgenommen worden und wird mit Ihnen konfrontiert werden.«
Vor Tschitschikows Augen wurde alles trüb und wirr.
»Durchlaucht! Ich will Ihnen die ganze Wahrheit sagen. Ich bin schuldig, ja, ich bin schuldig, aber nicht so schuldig, wie Euer Durchlaucht glauben; meine Feinde haben mich verleumdet.«
»Sie kann niemand verleumden, denn in Ihnen steckt sehr viel mehr Niederträchtigkeit, als der ärgste Lügner ersinnen kann. Ich glaube, Sie haben in Ihrem ganzen Leben nie eine ehrenhafte Handlung ausgeführt. Jede Kopeke, die Sie erworben haben, ist auf die ehrloseste Weise erworben, ist ein Diebstahl und eine Ehrlosigkeit, auf die die Knute und Sibirien stehen! Nein, Ihr Maß ist voll! Augenblicklich werden Sie ins Gefängnis abgeführt werden, und da mögen Sie mit den gemeinsten Schurken und Räubern zusammen die Entscheidung Ihres Schicksals erwarten! Und das ist noch eine gnädige Behandlung für Sie; denn Sie sind weit, weit schlechter als jene: das sind arme Kerle im Bauernkittel und Schafpelz; Sie aber …« Er warf einen Blick auf den Frack von der Farbe »Rauch und Feuer von Navarino«, dann griff er nach dem Klingelzuge und schellte.
»Durchlaucht!« schrie Tschitschikow. »Haben Sie Erbarmen! Sie sind Familienvater. Üben Sie Gnade, nicht um meinetwillen, sondern um meiner alten Mutter willen!«
»Sie lügen!« rief der Fürst zornig. »Genau so haben Sie mich damals um Ihrer Kinder und Ihrer Familie willen angefleht, die Sie doch nie gehabt haben; jetzt nun verwenden Sie dazu die Mutter.«
»Durchlaucht, ich bin ein Schurke und ein gemeiner Taugenichts«, sagte Tschitschikow im Tone der Zerknirschung. »Ich habe in der Tat gelogen; ich hatte weder Kinder noch Frau; aber Gott ist mein Zeuge, daß ich immer vorgehabt habe, mich zu verheiraten und meine Pflicht als Mensch und Bürger zu erfüllen, um dann wirklich die Achtung meiner Mitbürger und der Obrigkeit zu verdienen. Aber es war ein gar zu unglückliches Zusammentreffen der Umstände! Durchlaucht! Mit blutigem Schweiß mußte ich mir
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