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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Uhr ließ wieder ihr Zischen hören und schlug dann zehn; durch die Tür blickte ein Frauengesicht herein, verschwand aber sofort wieder, weil Tschitschikow in dem Wunsche, möglichst gut zu schlafen, sich ganz nackt ausgezogen hatte. Das Gesicht, das hereingeblickt hatte, kam ihm einigermaßen bekannt vor. Er suchte in seinem Gedächtnisse nach, wer es wohl gewesen sein mochte, und erinnerte sich endlich, daß es die Hausfrau war. Er zog sich das Hemd an; die Kleider lagen, bereits getrocknet und gereinigt, neben dem Bette. Nachdem er sich angekleidet hatte, trat er an den Spiegel und nieste wieder so laut, daß ein Truthahn, der sich gerade in diesem Augenblick dem Fenster näherte (das Fenster war nur sehr wenig vom Boden entfernt), ihm plötzlich etwas in seiner sonderbaren Sprache zurief, was wahrscheinlich »Prosit!« bedeutete, worauf Tschitschikow zu ihm »Schafskopf!« sagte. Zum Fenster tretend, betrachtete er das vor ihm liegende Bild; das Fenster blickte beinah in einen Hühnerstall hinein; wenigstens war der vor demselben liegende kleine Hof ganz mit Hühnern und allerlei anderen Haustieren angefüllt. Die Puten und Hühner waren gar nicht zu zählen; unter ihnen schritt ein Hahn gemessenen Schrittes hin und her, schüttelte seinen Kamm und drehte den Kopf nach der Seite, wie wenn er nach etwas hinhorchte. Auch eine Sau mit ihrer Familie war da; in einem Misthaufen wühlend, verschlang sie so beiläufig ein Küchelchen und fuhr dann, ohne davon Aufheben zu machen, fort, ordnungsmäßig Melonenschalen zu fressen. Diesen kleinen Hof oder Hühnerstall umschloß ein Bretterzaun, jenseits dessen sich ein ausgedehnter Gemüsegarten hinzog mit Kohl, Zwiebeln, Kartoffeln, roten Rüben und anderen Küchengewächsen. In dem Gemüsegarten standen verstreut Apfel- und andere Obstbäume, mit Netzen bedeckt, zum Schutze gegen die Elstern und Sperlinge, welche letzteren in ganzen schrägen Wolken von einem Platze zum andern flogen. Aus demselben Grunde waren auf langen Stangen einige Vogelscheuchen mit ausgebreiteten Armen aufgestellt; eine von diesen trug auf dem Kopfe eine Haube der Hausfrau selbst. Hinter dem Gemüsegarten folgten die Bauernhäuser, die zwar verstreut lagen und keine regelmäßigen Straßen bildeten, aber, wie Tschitschikow bemerkte, den Wohlstand der Bewohner bekundeten, da sie so unterhalten waren, wie es sich gehört: schlecht gewordene Bretter auf den Dächern waren überall durch neue ersetzt; die Tore lagen nirgends schief, und in den ihm zugewendeten gedeckten Schuppen sah er einen, an manchen Stellen sogar zwei fast neue Reservewagen stehen. »Aber die hat ja ein ganz ansehnliches Dörfchen!« sagte er bei sich und nahm sich sofort vor, mit der Gutsherrin freundschaftliche Gespräche zu führen und möglichst gut bekannt zu werden. Er blickte durch die Spalte der Tür, durch die sich vorher der Kopf hindurchgeschoben hatte, sah sie am Teetisch sitzen und ging mit heiterer, freundlicher Miene zu ihr hinein.
    »Guten Morgen, Väterchen! Wie haben Sie geschlafen?« sagte die Wirtin, sich von ihrem Platze erhebend. Sie war besser gekleidet als am vorhergehenden Tage: sie trug ein dunkles Kleid und hatte nicht mehr die Nachthaube auf dem Kopfe; aber den Hals hatte sie doch noch ebenso umwickelt.
    »Sehr gut, sehr gut!« antwortete Tschitschikow und setzte sich auf einen Lehnstuhl. »Und Sie, Mütterchen?«
    »Schlecht, Väterchen.«
    »Wieso denn?«
    »Ich leide an Schlaflosigkeit. Das Kreuz tut mir immer weh, und in den Beinen habe ich Reißen.«
    »Das wird schon wieder vergehen, das wird schon wieder vergehen, Mütterchen! Darum muß man sich gar nicht kümmern.«
    »Gebe Gott, daß es wieder vergeht! Ich habe mir die schmerzhaften Stellen mit Schweinefett eingerieben und mit Terpentin angefeuchtet. Aber womit trinken Sie den Tee? In der Flasche ist Fruchtsaft.«
    »Sehr schön, Mütterchen; trinken wir ihn mit Fruchtsaft!«
    Ich glaube, der Leser hat bereits bemerkt, daß Tschitschikow trotz seiner höflichen Miene doch ungenierter redete als mit Manilow und gar keine Zeremonien machte. Man muß sagen, daß wir in Rußland zwar in manchen Dingen hinter den Ausländern noch zurück sind, sie aber im Verständnis der Umgangsformen weit übertreffen. Es ist unmöglich, alle Nuancen und Feinheiten unseres Benehmens im Verkehr aufzuzählen. Ein Franzose oder ein Deutscher wird sein Lebelang all diese Besonderheiten und Unterschiede nicht verstehen und begreifen; er redet fast in demselben Tone und

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