Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
höchste Erstaunen. Er stieg vom Bocke herunter, stellte sich, beide Arme in die Seiten stemmend, vor die Britschke hin, während gleichzeitig sein Herr im Schmutze herumstrampelte, um sich hinauszuarbeiten, und sagte nach einigem Nachdenken: »Nun sieh mal einer an: sie ist umgekippt!«
    »Du bist betrunken wie ein Schuster!« sagte Tschitschikow.
    »Nein, Herr, wie sollte das möglich sein, daß ich betrunken wäre? Ich weiß, daß das keine schöne Sache ist, betrunken zu sein. Ich habe mit einem Freunde ein paar Worte geredet, weil man mit einem guten Menschen ein paar Worte reden darf (darin liegt nichts Schlimmes), und wir haben zusammen einen Bissen gegessen. Ein Imbiß, das ist keine Sünde; mit einem guten Menschen darf man einen Imbiß zu sich nehmen.«
    »Aber was habe ich dir das letzte Mal gesagt, als du dich betrunken hattest? Wie? Hast du das vergessen?« sagte Tschitschikow.
    »Nein, Euer Wohlgeboren, wie wäre es möglich, daß ich das vergäße? Ich kenne meine Berufspflichten recht wohl. Ich weiß, daß es nicht schön ist, betrunken zu sein. Ich habe mit einem guten Menschen ein paar Worte geredet, weil …«
    »Wenn ich dich durchprügeln werde, dann wirst du lernen, wie man mit einem guten Menschen reden muß.«
    »Ganz wie es Euer Gnaden gefällig sein wird«, antwortete Selifan, der mit allem einverstanden war. »Wenn Sie mich durchprügeln wollen, dann tun Sie es; ich habe nichts dagegen. Warum soll man einen nicht durchprügeln, wenn er das verdient? Das steht ganz im Belieben des Herrn. Einen Knecht muß man durchprügeln, sonst wird er übermütig; Ordnung muß sein. Wenn einer es verdient hat, dann prügle man ihn durch; warum soll man ihn nicht durchprügeln?«
    Auf ein solches Räsonnement wußte der Herr schlechterdings nichts zu erwidern. Aber unterdessen schien das Schicksal selbst beschlossen zu haben, sich ihrer zu erbarmen. Von ferne erscholl Hundegebell. Erfreut gab Tschitschikow Befehl, die Pferde anzutreiben. Ein russischer Wagenlenker besitzt statt der Augen eine gute Witterung; daher kommt es, daß er manchmal mit zugekniffenen Augen im Galopp dahinjagt und immer ans Ziel gelangt. Selifan lenkte, obwohl er nicht die Hand vor den Augen sehen konnte, die Pferde so gerade auf das Dorf zu, daß er erst anhielt, als die Britschke mit der Deichsel an einen Zaun stieß und es entschieden unmöglich war, weiterzufahren. Tschitschikow konnte durch den dichten Schleier des niederströmenden Regens nur etwas, was mit einem Hausdache Ähnlichkeit hatte, wahrnehmen. Er schickte Selifan hin, um das Tor zu suchen, was ohne Zweifel lange gedauert hätte, wenn es nicht in Rußland statt der Portiers tüchtige Hunde gäbe, die ihn so geräuschvoll anmeldeten, daß er die Finger an die Ohren brachte. Ein Licht schimmerte in einem Fensterchen auf und reichte mit einem nebligen Streifen bis an den Zaun, wo es unseren Reisenden das Tor zeigte. Selifan fing an zu klopfen, und bald wurde das Pförtchen geöffnet; eine mit einem Bauernrock bekleidete Gestalt bog sich mit dem Oberkörper heraus, und der Herr und der Diener hörten eine heisere Frauenstimme sagen: »Wer klopft da? Warum macht ihr solchen Lärm?«
    »Wir sind Reisende, Mütterchen; laß uns hier übernachten!« sagte Tschitschikow.
    »Nun sieh mal an, du bist ja ein forscher Kerl«, sagte die Alte. »In was für einem Wetter kommst du an! Aber hier ist keine Herberge; hier wohnt eine Gutsbesitzerin.«
    »Aber was sollen wir machen, Mütterchen? Wir sind vom Wege abgekommen. Wir können doch bei solchem Wetter nicht auf dem Felde übernachten.«
    »Ja, es ist dunkel und schlechtes Wetter«, fügte Selifan hinzu.
    »Schweig still, Dummkopf«, sagte Tschitschikow.
    »Aber was sind Sie denn für einer?« fragte die Alte.
    »Ein Adliger, Mütterchen.«
    Das Wort »ein Adliger« veranlaßte, wie es schien, die Alte, ein wenig zu überlegen. »Warten Sie einen Augenblick«, sagte sie, »ich werde es der gnädigen Frau melden«, und ein paar Minuten darauf kehrte sie mit einer Laterne in der Hand zurück. Das Tor wurde geöffnet. Ein Licht flimmerte auch in einem anderen Fenster auf. Die Britschke fuhr auf den Hof und hielt vor einem kleinen Häuschen, das in der Dunkelheit schwer zu erkennen war. Nur die eine Hälfte desselben wurde durch das aus den Fenstern dringende Licht erhellt; ferner war vor dem Hause eine Pfütze sichtbar, auf die jener selbe Lichtschein fiel. Der Regen trommelte laut auf dem hölzernen Dache und strömte als ein

Weitere Kostenlose Bücher