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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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in denselben Ausdrücken mit einem Millionär und mit einem kleinen Tabakshändler, wiewohl er natürlich in seinem Herzen vor dem ersteren eine so kriecherische Gesinnung hat, wie man es nur wünschen kann. Bei uns ist das anders: bei uns gibt es geschickte Leute, die mit einem Gutsbesitzer, der zweihundert Seelen hat, ganz anders reden als mit einem, der dreihundert hat, und mit einem, der dreihundert hat, wieder nicht so wie mit einem, der fünfhundert hat, und mit einem, der fünfhundert hat, wieder nicht so wie mit einem, der achthundert hat; kurz, wenn man selbst bis zu einer Million hinaufgeht, überall finden sich Nuancen der Redeweise. Nehmen wir z.B. an, es gebe eine Kanzlei, und nehmen wir an, in der Kanzlei sei ein Kanzleivorsteher vorhanden. Man sehe ihn sich, bitte, an, wenn er inmitten seiner Untergebenen dasitzt: man wird vor Angst geradezu kein Wort herausbringen können. Stolz, Vornehmheit – was drückt dieses Gesicht nicht alles aus! Man nehme einfach einen Pinsel und male ihn: er ist ein Prometheus, ein richtiger Prometheus! Er sieht aus wie ein Adler; sein Gang ist ruhig und gemessen. Aber dieser selbe Adler, sobald er nur das Zimmer verlassen hat und sich mit den Akten unter dem Arm dem Arbeitszimmer seines Chefs nähert, trippelt eilig dahin, so schnell er kann, wie ein Rebhuhn. Wenn bei einer Abendgesellschaft die Anwesenden von geringem Range sind, so bleibt Prometheus Prometheus; stehen sie aber im Range etwas über ihm, so geht mit Prometheus eine solche Verwandlung vor, wie selbst Ovid sie nicht ausgedacht hat: er wird eine Fliege, ja weniger als eine Fliege, ein winziges Sandkörnchen! »Aber das ist doch nicht Iwan Petrowitsch?« sagst du bei seinem Anblick. »Iwan Petrowitsch ist von hohem Wuchse, und dieser hier ist klein und schmächtig; jener redet laut und mit tiefer Baßstimme und lacht niemals; dieser aber, weiß der Teufel, piept wie ein Vögelchen und lacht immer.« Du trittst näher und siehst ihn genauer an: wahrhaftig, es ist doch Iwan Petrowitsch! »Hahaha!« denkst du bei dir …
    Aber kehren wir zu den handelnden Personen zurück. Tschitschikow hatte, wie wir schon gesehen haben, sich dafür entschieden, keine Zeremonien zu machen; nachdem er also die Tasse Tee in die Hand genommen und sich Fruchtsaft hineingegossen hatte, begann er das Gespräch folgendermaßen:
    »Sie haben da ein schönes Dörfchen, Mütterchen. Wie viele Seelen sind denn darin?«
    »Seelen sind nahezu achtzig darin, Väterchen«, erwiderte die Wirtin, »aber es ist ein Jammer mit den schlechten Zeiten: im vorigen Jahre haben wir eine Mißernte gehabt, Gott erbarme sich!«
    »Aber die Bauern machen doch den Eindruck kräftiger Leute, und die Häuser sind in gutem Stande. Aber gestatten Sie mir die Frage nach Ihrem Familiennamen. Ich bin so zerstreut gewesen … ich kam in der Nacht an …«
    »Korobotschka, Kollegiensekretärin.«
    »Ich danke gehorsamst. Und wie ist Ihr Vor- und Vatersname?«
    »Nastasja Petrowna.«
    »Nastasja Petrowna? Das ist ein schöner Name – Nastasja Petrowna. Ich habe eine Tante, eine Schwester meiner Mutter, die auch Nastasja Petrowna heißt.«
    »Und wie ist Ihr Name?« fragte die Gutsbesitzerin. »Ich denke mir, Sie sind ja doch wohl Kreisassessor?«
    »Nein, Mütterchen«, erwiderte Tschitschikow lächelnd, »ich bin nicht Kreisassessor, sondern reise nur so in meinen eigenen Angelegenheiten.«
    »Ah, also Sie sind Aufkäufer! Wie schade, wahrhaftig, daß ich den Honig so billig an die Kaufleute verkauft habe; Sie hätten ihn mir gewiß abgekauft, Väterchen.«
    »Nein, Honig hätte ich nicht gekauft.«
    »Was denn sonst? Vielleicht Hanf? Ich habe jetzt nur ganz wenig Hanf, bloß ein halbes Pud.«
    »Nein, Mütterchen, ich handle mit anderen Dingen: sagen Sie mal, sind von Ihren Bauern welche gestorben?«
    »Ach, Väterchen, achtzehn Stück!« antwortete die Alte seufzend. »Und es sind gerade so prächtige Leute gestorben, lauter gute Arbeiter. Es sind ja dann natürlich auch welche herangewachsen; aber was habe ich von denen? Das ist alles eine geringe Sorte. Und der Kreisassessor kam her und verlangte, ich sollte die Kopfsteuer auch für die Gestorbenen bezahlen. Die Leute sind tot; aber bezahlen muß ich für sie, wie wenn sie lebten. In der vorigen Woche ist bei mir der Schmied verbrannt, ein so geschickter Schmied, und auch auf die Schlosserei verstand er sich.«
    »Hat es denn bei Ihnen gebrannt, Mütterchen?«
    »Gott wolle uns vor solchem Unglück bewahren;

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