Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
Vom Netzwerk:
verspürte sogar ein wenig Herzklopfen. »Aber wenn man bei Ihnen aus dem Tore herauskommt, muß man dann rechts oder links fahren?«
    »Ich finde es für Sie gar nicht ratsam, den Weg zu diesem Hunde zu wissen«, versetzte Sobakewitsch. »Es ist verzeihlicher, in irgendein unanständiges Lokal zu gehen als zu ihm.«
    »Nein, ich fragte nicht in irgendwelcher besonderen Absicht, sondern nur weil es mich interessiert, von Orten jeder Art Kenntnis zu erlangen«, erwiderte Tschitschikow.
    Auf das Hammelviertel folgten Quarkkuchen, von denen ein jeder bedeutend größer war als ein Teller, dann ein Truthahn von der Größe eines Kalbes, vollgestopft mit allerlei guten Dingen: Eiern, Reis, Leber und wer weiß mit was für Sachen sonst noch, die einem alle wie ein Klumpen im Magen liegen. Damit schloß das Mittagessen; aber als sie vom Tische aufstanden, hatte Tschitschikow ein Gefühl der Schwere, als ob er einen halben Zentner gegessen hätte. Sie gingen in den Salon, wo schon in einem Schüsselchen Eingemachtes stand, eine Mischung von Birnen, Pflaumen und allerlei Beerenobst; indessen langte weder der Gast noch der Wirt zu. Die Wirtin ging hinaus, um noch andere Sorten von Eingemachtem zu holen. Ihre Abwesenheit benutzend, wandte sich Tschitschikow an Sobakewitsch, der nach einer so starken Mahlzeit auf einem Lehnstuhl lag, sich räusperte, mit dem Munde einige unverständliche Laute von sich gab, sich bekreuzte und sich alle Augenblicke den Mund mit der Hand zuhielt. Tschitschikow wandte sich an ihn mit den Worten: »Ich möchte gern in einer geschäftlichen Angelegenheit mit Ihnen sprechen.«
    »Da ist noch Eingemachtes«, sagte die Hausfrau, als sie mit einem Schüsselchen zurückkehrte. »Es ist Rettich, in Honig eingekocht.«
    »Später, später!« sagte Sobakewitsch. »Geh du jetzt auf dein Zimmer! Pawel Iwanowitsch und ich, wir wollen uns die Fracks ausziehen und uns ein bißchen erholen!«
    Die Hausfrau erbot sich sogleich, ihnen Betten und Kissen bringen zu lassen; aber der Hausherr sagte: »Nicht nötig; wir ruhen uns auf den Lehnstühlen aus«, und die Hausfrau entfernte sich.
    Sobakewitsch neigte den Kopf ein wenig und schickte sich an zu hören, um was es sich handle.
    Tschitschikow begann etwas weit ausholend, sprach vom russischen Reiche im allgemeinen, erging sich in Lobsprüchen über seine weite Ausdehnung, sagte, daß nicht einmal das alte römische Kaiserreich so groß gewesen sei und die Ausländer es mit Recht bewunderten … (Sobakewitsch hörte immer mit gebeugtem Kopfe aufmerksam zu), und daß nach den bestehenden Gesetzen dieses Reiches, dem an Ruhm kein anderes gleichkomme, diejenigen in die Revisionsliste eingetragenen Seelen, die ihre Lebenslaufbahn beendet hätten, dennoch bis zur Aufstellung einer neuen Revisionsliste ebenso wie die lebenden mitgezählt würden, um nicht die Verwaltungsbehörden durch eine Menge kleinlicher, nutzloser Untersuchungen zu belasten und nicht die Kompliziertheit des ohnehin schon komplizierten Staatsmechanismus noch zu steigern … (Sobakewitsch hörte immer noch mit gebeugtem Kopfe aufmerksam zu), daß aber diese Maßregel, bei all ihrer Gerechtigkeit, doch für viele Landbesitzer recht drückend sei, da sie sie zwinge, die Steuern für jene wie für lebende Wesen zu bezahlen, und daß er, aus persönlicher Hochachtung für ihn, bereit sei, diese in der Tat drückende Verpflichtung zum Teil auf sich zu nehmen. Über den Hauptpunkt drückte sich Tschitschikow sehr vorsichtig aus: er sagte nicht »verstorbene Seelen«, sondern nur »nicht existierende Seelen«.
    Sobakewitsch hielt immer noch wie vorher den Kopf aufmerksam zuhörend geneigt; auf seinem Gesichte war auch nicht das geringste wahrnehmbar, was mit der Äußerung eines Affektes Ähnlichkeit gehabt hätte. Es schien, als ob in diesem Körper überhaupt keine Seele stecke, oder als ob, wenn ja eine Seele zu ihm gehörte, sie nicht dort sei, wo sie hingehörte, sondern wie bei dem niemals sterbenden Koschtschei [6]   irgendwo jenseits der Berge und von einer so dicken Schale bedeckt, daß alles, was sich auf ihrem Grunde regte, keinerlei Erschütterung an der Oberfläche hervorbrachte.
    »Nun, also? …« sagte Tschitschikow und wartete nicht ohne eine gewisse Erregung auf die Antwort.
    »Sie möchten tote Seelen haben?« fragte Sobakewitsch ganz einfach, ohne die geringste Verwunderung, wie wenn von Getreide die Rede wäre.
    »Ja«, antwortete Tschitschikow und suchte wieder den Ausdruck zu mildern,

Weitere Kostenlose Bücher