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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Tschitschikow musterte noch einmal das Zimmer und alles, was darin war; alles war im höchsten Grade derb und plump und hatte eine sonderbare Ähnlichkeit mit dem Herrn des Hauses selbst. In einer Ecke des Salons stand ein dickbauchiger Schreibtisch von Nußbaumholz auf vier unschönen Füßen, der reine Bär. Der Tisch, die Lehnsessel, die Stühle, alles trug den Charakter des Schwerfälligen und Unbehaglichen; kurz, jeder Gegenstand, jeder Stuhl schien zu sagen: »Auch ich bin ein Sobakewitsch!« oder: »Auch ich bin dem Hausherrn sehr ähnlich!«
    »Wir haben von Ihnen beim Gerichtspräsidenten Iwan Grigorjewitsch gesprochen«, sagte Tschitschikow endlich, als er sah, daß niemand das Gespräch zu beginnen beabsichtigte, »am vorigen Donnerstag. Wir haben da ein paar sehr angenehme Stunden verlebt.«
    »Ja, ich war damals nicht beim Präsidenten«, antwortete Sobakewitsch.
    »Ein prächtiger Mann!«
    »Wen meinen Sie?« fragte Sobakewitsch und blickte nach der Ofenecke.
    »Den Präsidenten.«
    »Nun, vielleicht ist Ihnen das so vorgekommen; er ist Freimaurer, aber ein solcher Dummkopf, wie die Welt keinen zweiten hervorgebracht hat.«
    Tschitschikow war durch diese etwas scharfe Beurteilung ein wenig verblüfft, fuhr aber dann, seine Fassung wiedergewinnend, fort: »Gewiß hat jeder Mensch seine Schwächen; aber sehen Sie dafür den Gouverneur – welch ein ausgezeichneter Mensch!«
    »Der Gouverneur ein ausgezeichneter Mensch?«
    »Ja, nicht wahr!«
    »Der schlimmste Räuber der Welt!«
    »Wie, der Gouverneur ein Räuber!« sagte Tschitschikow und konnte absolut nicht begreifen, wie man den Gouverneur für einen Räuber erklären konnte. »Ich muß gestehen, das hätte ich schlechterdings nicht gedacht«, fuhr er fort. »Aber gestatten Sie mir die Bemerkung: seine Handlungsweise ist durchaus nicht von der Art; sie bekundet im Gegenteil eine große Sanftmut.« Und nun führte er zum Beweise sogar die Geldbörsen an, die jener eigenhändig gestickt hatte, und sprach lobend von seinem freundlichen Gesichtsausdruck.
    »Auch sein Gesicht ist das reine Räubergesicht!« erwiderte Sobakewitsch. »Geben Sie ihm nur ein Messer, und lassen Sie ihn auf die große Landstraße: er wird einen Mord begehen; um einer Kopeke willen wird er einen Mord begehen! Er und dazu der Vizegouverneur, das ist Gog und Magog.«
    »Nein, mit denen steht er sich offenbar nicht gut«, dachte Tschitschikow bei sich. »Ich will mit ihm vom Polizeimeister zu reden anfangen; der scheint ja ein Freund von ihm zu sein. – Übrigens, was mich anlangt«, sagte er, »so muß ich gestehen, am besten von allen gefällt mir der Polizeimeister. Was ist das für ein gerader, offener Charakter; schon im Gesicht hat er so etwas Treuherziges.«
    »Ein Schurke!« sagte Sobakewitsch ganz kaltblütig. »Der verrät und betrügt Sie und speist dabei noch mit Ihnen zu Mittag. Ich kenne sie alle: es sind lauter Schurken; in der ganzen Stadt ist einer immer ein ärgerer Schurke als der andere. Alle sind sie Judasse. Der einzige anständige Mensch dort ist der Staatsanwalt, und auch der ist, die Wahrheit zu sagen, ein Schweinehund.«
    Nach so lobenden, wiewohl etwas kurzen Zensuren sah Tschitschikow ein, daß es keinen Zweck hatte, die übrigen Beamten zu erwähnen, und erinnerte sich, daß Sobakewitsch es nicht liebte, von jemandem Gutes zu reden.
    »Nun, mein Herzchen, dann wollen wir zu Tische gehen!« sagte die Hausfrau zu ihrem Manne.
    »Ich bitte!« sagte Sobakewitsch. Darauf traten der Gast und der Wirt an einen Tisch heran, auf dem ein kalter Imbiß aufgestellt war, und tranken, wie es sich gehört, jeder ein Glas Schnaps; dazu aßen sie etwas, wie man ja in allen Städten und Dörfern des weiten russischen Reiches vor dem Mittagessen allerlei salzige und andere appetiterweckende Speisen zu sich zu nehmen pflegt, und wanderten darauf alle in das Eßzimmer; voran ging, wie eine ruhig watschelnde Gans, die Hausfrau. Auf einem kleinen Tische lagen vier Gedecke. Für den vierten Platz erschien sehr bald eine weibliche Person, über die sich schwer etwas mit Bestimmtheit sagen ließ: ob sie eine Frau oder ein Fräulein, ob sie eine Verwandte oder eine Haushälterin war oder nur einfach so mit im Hause wohnte; sie hatte keine Haube auf, trug ein buntes Tuch und mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Es gibt Personen, die in der Welt nicht als selbständige Wesen existieren, sondern nur als fremde Tüpfelchen oder Flecken auf einem anderen Gegenstande. Sie sitzen

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