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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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seltsames, ihm selbst unverständliches Gefühl. Jedes Verzeichnis hatte seinen besonderen Charakter, und dadurch schienen auch die Bauern selbst ihren besonderen Charakter zu erhalten. Die Bauern, die der Frau Korobotschka gehört hatten, waren fast sämtlich mit Zunamen und Spitznamen versehen. Pluschkins Verzeichnis zeichnete sich durch Kürze in der Fassung aus: oft waren von den Vor- und Vatersnamen nur die Anfänge hingeschrieben und dahinter zwei Punkte gemacht. Sobakewitschs Liste erregte Erstaunen durch die außerordentliche Vollständigkeit und Ausführlichkeit; keine Eigenschaft eines Bauern war weggelassen: von dem einen war gesagt: »ein guter Tischler«, zu einem anderen war hinzugeschrieben: »er versteht seine Sache und ist ein Feind des Alkohols.« Auch war ausführlich angegeben, wer der Vater und wer die Mutter des Betreffenden gewesen war, und wie sich beide geführt hatten; nur bei einem, einem gewissen Fedotow, war geschrieben: »es ist unbekannt, wer sein Vater gewesen ist; er ist ein Sohn der Hofmagd Kapitolina, aber ein wohlgesitteter, ehrlicher Mensch.« Alle diese Einzelheiten verliehen der Liste eine gewisse Frische; es machte den Eindruck, als ob die Bauern noch gestern gelebt hätten. Lange blickte er auf ihre Namen, wurde dabei ordentlich gerührt und sagte seufzend: »Herrgott, in welcher Unmenge steht ihr hier zusammengedrängt! Was habt ihr euer Lebelang getan, ihr lieben Leute? Wie habt ihr euch durchgeschlagen?« Und seine Augen blieben unwillkürlich auf einem Familiennamen haften. Dies war der bekannte Peter Saweljew Friß-aus-jedem-Trog, der einmal der Gutsbesitzerin Korobotschka gehört hatte. Er konnte sich wieder nicht enthalten, zu sagen: »Ach was für ein Langer; die ganze Zeile füllt er aus! Bist du ein Handwerker gewesen oder einfach ein Bauer, und welches Todes bist du gestorben? In der Schenke? Oder bist du auf der Landstraße schlaftrunken vom Wagen gefallen und von seinen plumpen Rädern überfahren worden? ›Probka Stepan, Zimmermann, von musterhafter Nüchternheit.‹ Ah, dieser Stepan Probka, das ist der Riese, der zur Garde getaugt hätte! Du hast wohl viele Gouvernements durchwandert, mit dem Beil im Gürtel und den Stiefeln über den Schultern, hast für einen Groschen Brot und für zwei Groschen getrockneten Fisch gegessen und in deinem Geldbeutel wohl jedesmal hundert Rubel nach Hause gebracht, und vielleicht hattest du auch einen Staatsschuldschein in deine Leinwandhosen eingenäht oder in den Stiefel gesteckt. Wo hat dich dein Schicksal erreicht? Vielleicht bist du um des größeren Gewinns willen unter eine Kirchenkuppel hinaufgestiegen oder gar bis zum Kreuz hinaufgekrochen, dort vom Gerüst heruntergefallen und zu Boden gestürzt, und es hat dann ein neben dir stehender Onkel Michei sich mit der Hand am Nacken gekratzt und gesagt: ›Ach, Lieber, da hat dich der Böse betört!‹ Dann aber hat er sich selbst einen Strick umgebunden und ist an deiner Stelle hinaufgestiegen. ›Maxim Teljatnikow, Schuhmacher.‹ Ha-ha, Schuhmacher! ›Betrunken wie ein Schuster‹ ist eine Redensart. Ich kenne dich, ich kenne dich, mein Bester; wenn du willst, werde ich deine ganze Lebensgeschichte erzählen. Du warst bei einem Deutschen in der Lehre, der euch alle zusammen beköstigte, euch für Nachlässigkeit mit dem Riemen über den Rücken schlug und euch nicht zu unnützen Streichen auf die Straße hinausließ; und du warst ein wahres Wunder von Schuster, und der Deutsche konnte dich im Gespräche mit seiner Frau oder mit einem Berufsgenossen gar nicht genug loben. Als nun deine Lehrzeit um war, da sagtest du: ›Jetzt werde ich mir ein eigenes Häuschen einrichten; aber ich werde es nicht so machen wie der Deutsche, der eine Kopeke nach der anderen erwirbt; nein, ich will mit einem Male ein reicher Mann werden.‹ Du zahltest deinem Herrn eine bedeutende Abgabe, richtetest dir einen kleinen Laden ein, verschafftest dir eine Menge von Bestellungen und begannst zu arbeiten. Du erwarbst von irgendwoher ganz billiges, morsches Leder und machtest allerdings an jedem Stiefel doppelten Profit; aber nach ein paar Wochen fingen deine Stiefel überall an zu reißen, und die Kunden schimpften dich auf das schmählichste aus. Und da wurde nun dein Laden leer, und du fingst an zu trinken und dich auf den Straßen herumzuwälzen, wobei du sagtest: ›Nein, es ist doch zu schlecht bestellt auf der Welt! Ein Russe findet nicht sein Auskommen; überall sind ihm die Deutschen im

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