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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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ihm die Eigenschaften der von ihm selbst dargestellten Helden beilegt und ihm Herz und Gefühl und die göttliche Flamme des Talentes abspricht; denn die zeitgenössische Kritik erkennt es nicht an, daß gleich wunderbar diejenigen gläsernen Instrumente sind, durch die wir die Sonnen betrachten, und diejenigen, durch die wir die Bewegungen der allerkleinsten Lebewesen wahrnehmen; die zeitgenössische Kritik erkennt es nicht an, daß viel Gemütstiefe dazu erforderlich ist, ein aus dem niedrigen Leben entnommenes Bild zu illustrieren und zu einem kleinen Kabinettstück zu machen; die zeitgenössische Kritik erkennt es nicht an, daß ein sittlich hochstehendes herzliches Lachen gleichwertig ist mit einem sittlich hochstehenden lyrischen Pathos, und daß zwischen jenem und den Grimassen eines Jahrmarktshanswurstes ein himmelweiter Unterschied besteht! Das erkennt die zeitgenössische Kritik nicht an; sie hat für den nicht anerkannten Schriftsteller nur Vorwürfe und Schmähungen: er findet keinen Widerhall und keine Sympathie und gleicht einem Reisenden ohne Familie, der seinen Lebensweg allein dahinwandert. Traurig ist seine Laufbahn, und bitter empfindet er seine Vereinsamung.
    Mir aber ist es durch die wunderbare Macht des Schicksals beschieden, noch lange Arm in Arm mit meinem seltsamen Helden einherzugehen und das ganze gewaltig dahinflutende Leben zu beschauen, es zu beschauen mit einem Lachen, das der ganzen Welt sichtbar ist, und mit Tränen, die niemand sieht! Und fern ist noch die Zeit, wo in einer anderen Tonart ein heftiger Wirbelsturm aus einem mit heiligem Schrecken und hellem Glanze angetanen Kapitel sich erheben wird und die Leser in zitternder Bestürzung den majestätischen Donner anderer Reden vernehmen werden.
    Auf den Weg! Auf den Weg! Weg mit der Runzel, die sich über die Stirn zieht, und dem düsteren Ernst des Antlitzes! Tauchen wir mit einem Satze wieder in das Leben unter mit all seinem unharmonischen Gelärm und Schellengeklingel, und sehen wir, was Tschitschikow macht!
    Tschitschikow erwachte, reckte Arme und Beine und fühlte, daß er gut geschlafen hatte. Nachdem er noch ein paar Minuten auf dem Rücken gelegen hatte, schnippte er mit den Fingern und erinnerte sich mit strahlendem Gesichte, daß er jetzt nahezu vierhundert Seelen besaß. Sogleich sprang er vom Bette auf; er besah nicht einmal sein Gesicht, das er innig liebte, und in dem er, wie es scheint, für den alleranziehendsten Teil das Kinn hielt, denn er rühmte sich desselben sehr häufig diesem und jenem seiner Freunde gegenüber, besonders wenn er gerade beim Rasieren war. »Sieh nur mal«, sagte er gewöhnlich, indem er es mit der Hand streichelte, »was ich für ein Kinn habe; ganz rundlich ist es!« Aber jetzt sah er weder sein Kinn noch sein Gesicht an, sondern zog ohne weiteres seine Saffianstiefel mit den eingekerbten buntfarbigen Einfassungen an, ein Schuhwerk, mit welchem die Stadt Torschok, dank dem Bequemlichkeitstriebe, der im Charakter des Russen liegt, einen flotten Handel treibt; dann vollführte er, ohne an seine Gesetztheit und seine wohlanständigen mittleren Jahre zu denken, nur im kurzen Hemde, das in schottischer Manier die Beine bloß ließ, im Zimmer zwei Luftsprünge, wobei er sich sehr geschickt mit der Ferse hinten einen Schlag versetzte. Schon im nächsten Augenblicke machte er sich ans Werk: er rieb sich vor seiner Schatulle die Hände mit dem gleichen Vergnügen, mit dem dies ein unbestechlicher Amtsrichter tut, wenn er eine Dienstreise zum Zwecke einer Untersuchung unternommen hat und nun an den Tisch mit dem kalten Imbiß herantritt; dann nahm er sofort die betreffenden Papiere heraus. Er wollte die Sache nicht auf die lange Bank schieben, sondern alles so schnell wie möglich erledigen. Er entschied sich dafür, die Kaufkontrakte selbst zu konzipieren und abzuschreiben, damit er den Gerichtsschreibern nichts zu bezahlen brauchte. Die vorgeschriebene Form war ihm völlig bekannt; mit kühnen, großen Buchstaben schrieb er oben darüber: »Im Jahre achtzehnhundertsoundsoviel«, dann darunter mit kleineren Buchstaben: »Der Gutsbesitzer soundso« und weiter alles, wie es sich gehört. In zwei Stunden war alles fertig. Als er dann diese Verzeichnisse ansah, die Namen der Bauern, die gewiß einmal Bauern gewesen waren, gearbeitet, gepflügt, sich betrunken, Fuhren gefahren und ihre Herren betrogen hatten, vielleicht aber auch einfach brave Bauern gewesen waren, da bemächtigte sich seiner ein

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