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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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braunem Tuch überzogenen Bärenpelz und eine warme Mütze mit Ohrenklappen trug. Der Herr schrie auf – es war Manilow. Sie schlossen einander sofort in die Arme und blieben etwa fünf Minuten lang auf der Straße in dieser Stellung stehen. Die Küsse waren von beiden Seiten so kräftig, daß ihnen beiden fast den ganzen Tag über die Vorderzähne weh taten. Von Manilows Gesicht blieb vor Freude nur die Nase und die Lippen übrig; die Augen verschwanden vollständig. Eine Viertelstunde lang hielt er mit seinen beiden Händen Tschitschikows Hand gefaßt und wärmte sie in dieser Weise gewaltig. In den elegantesten und liebenswürdigsten Redewendungen erzählte er ihm, daß er hergeflogen sei, um Pawel Iwanowitsch zu umarmen, und schloß seine Rede mit einem solchen Komplimente, wie es vielleicht nur einer jungen Dame gegenüber am Platze ist, mit der man zum Tanze geht. Tschitschikow öffnete den Mund, ohne noch selbst zu wissen, wie er seinen Dank ausdrücken sollte, als Manilow auf einmal aus seinem Pelze ein zusammengerolltes und mit einem rosa Bändchen zusammengebundenes Papier herauszog.
    »Was ist denn das?«
    »Die Bauern.«
    »Ah!« Tschitschikow rollte das Blatt sogleich auseinander, überflog den Inhalt mit den Augen und war erstaunt über die Sauberkeit und Schönheit der Handschrift. »Das ist ja wundervoll geschrieben«, sagte er, »da braucht es gar nicht erst abgeschrieben zu werden. Und dann noch die Einfassung ringsherum! Wer hat denn diese kunstvolle Einfassung hergestellt?«
    »Na, fragen Sie nur nicht erst!« erwiderte Manilow.
    »Sie selbst?«
    »Nein, meine Frau.«
    »O mein Gott! Ich schäme mich wirklich, Ihnen so viel Mühe gemacht zu haben.«
    »Was wir für Pawel Iwanowitsch tun, ist uns keine Mühe.«
    Tschitschikow verbeugte sich zum Zeichen der Dankbarkeit. Als Manilow erfuhr, daß er nach dem Gericht gehe, um die Kaufkontrakte perfekt zu machen, erklärte er sich bereit, ihn zu begleiten. Die Freunde faßten einander unter und gingen zusammen. Bei jeder kleinen Erhöhung oder Unebenheit oder Stufe stützte Manilow seinen lieben Tschitschikow und hob ihn beinahe mit dem Arme in die Höhe, wobei er mit einem freundlichen Lächeln bemerkte, er werde es nicht zulassen, daß Pawel Iwanowitsch sich die Beine verletze. Tschitschikow kam in Verlegenheit, da er gar nicht wußte, wie er dafür danken sollte; denn er war sich bewußt, daß er ein bißchen schwer war. Unter wechselseitigen Dienstleistungen kamen sie endlich zu dem freien Platze, an dem das Gerichtsgebäude stand, ein großes, dreistöckiges, steinernes Haus, ganz weiß wie Kreide, wahrscheinlich um die Seelenreinheit der darin untergebrachten Behörden zu versinnbildlichen. Das übrige, was man an diesem Platze sehen konnte, entsprach dem mächtigen steinernen Hause ganz und gar nicht. Dies war: ein Schilderhäuschen, bei dem ein Soldat mit einem Gewehr stand, zwei oder drei Droschkenstände und endlich lange Zäune mit gewissen Inschriften und Zeichnungen, die mit Kohle oder Kreide hergestellt waren. Weiter befand sich nichts auf diesem öden oder, wie man sich bei uns ausdrückt, schönen Platze. Aus den Fenstern des zweiten oder dritten Stockwerks schauten die Köpfe einiger unbestechlicher Priester der Themis heraus, verschwanden aber gerade in diesem Augenblicke wieder: wahrscheinlich war gerade ihr Chef ins Zimmer getreten. Die beiden Freunde gingen nicht, sondern liefen die Treppe hinauf, da Tschitschikow seine Schritte beschleunigte, um zu vermeiden, daß Manilow ihn unterfasse und stütze, Manilow aber seinerseits vorankommen wollte, um Tschitschikow nicht müde werden zu lassen; infolgedessen waren beide ganz außer Atem, als sie auf dem dunklen Korridor anlangten. Weder auf den Korridoren noch in den Zimmern wurden sie durch den Anblick besonderer Reinlichkeit überrascht. Damals kümmerte man sich um Reinlichkeit noch nicht, und was schmutzig war, blieb schmutzig, ohne daß es wieder ein reizvolles Äußeres annahm. Themis empfing ihre Gäste einfach, wie sie war, im Negligee und im Schlafrock. Der Verfasser sollte nun eigentlich die Kanzleizimmer beschreiben, durch die unsere Helden hindurchgingen, aber er hegt eine starke Scheu vor allen amtlichen Lokalitäten. Selbst wenn es sich einmal traf, daß er durch solche Räume hindurchging, zu einer Zeit, wo sie sich in glänzendem, verschönertem Zustande befanden, die Fußböden und Tische frisch lackiert waren, selbst dann bemühte er sich immer, so schnell wie

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