Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Kellner mit einer Verbeugung. »Gestern ist ein Leutnant angekommen; er ist nach Nummer sechzehn gezogen.«
»Ein Leutnant?«
»Näheres weiß ich nicht; er kommt aus Rjasan und hat braune Pferde.«
»Gut, gut, tu nur auch künftig deine Schuldigkeit!« sagte Tschitschikow und ging in sein Zimmer. Als er durch das Vorzimmer kam, zog er die Nase kraus und sagte zu Petruschka: »Du hättest wenigstens die Fenster aufmachen sollen!«
»Aber ich habe sie ja aufgemacht«, erwiderte Petruschka, was eine Lüge war. Übrigens wußte der Herr selbst, daß er log; aber er hatte keine Lust, etwas darauf zu erwidern. Nach seiner anstrengenden Reise empfand er eine große Müdigkeit. Er ließ sich ein ganz leichtes Abendessen geben, das nur aus einem Ferkel bestand, entkleidete sich dann sofort, kroch unter die Bettdecke und versank in jenen festen, gesunden, wundervollen Schlaf, wie er nur den Glücklichen zuteil wird, die nichts von Hämorrhoiden, Flöhen und übermäßiger geistiger Anstrengung wissen.
Siebentes Kapitel
Glücklich der Reisende, der nach einer langen und langweiligen Fahrt mit ihrer Kälte, ihrem Schlackerwetter, ihrem Schmutze, den verschlafenen Posthaltern, dem Schellengeklingel, den Reparaturen, dem Gezänke, den Postknechten, den Schmieden und den mannigfachen Schurken der Landstraße endlich das wohlbekannte Dach mit den ihm entgegenschimmernden Lichtern erblickt – und nun tritt er in die wohlbekannten Zimmer hinein; mit freudigem Aufschrei laufen ihm die Seinen entgegen; die Kinder rennen und lärmen; durch freundliche Worte sucht die Mutter sie zu beruhigen; dazwischen heiße Küsse, die alles Leid aus dem Gedächtnisse zu tilgen vermögen. Glücklich der Familienvater, der ein solches Heim besitzt; aber wehe dem Hagestolz!
Glücklich der Schriftsteller, der sich um die langweiligen, widerwärtigen, durch ihre traurige Realität abstoßenden Charaktere nicht kümmert, sondern sich nur mit denjenigen Charakteren beschäftigt, die die hohe Würde des Menschen repräsentieren, der Schriftsteller, der aus der gewaltigen Fülle der Alltagsgestalten sich die wenigen Ausnahmen auswählt, der der erhabenen Harmonie seiner Leier nie untreu geworden, nie von seiner Höhe zu seinen armen, geringen Mitmenschen hinabgestiegen ist, der die Erde nicht berührt, sondern sich in Andacht vor seinen der Erde fremden, erhabenen Idealen niederwirft. Doppelt beneidenswert ist sein schönes Los: er befindet sich unter ihnen wie im Schoße seiner eigenen Familie, und dabei erschallt sein Ruhm laut weithin. Mit berauschenden Weihrauchwolken hat er die Augen der Menschen umhüllt; wunderlieblich hat er ihnen geschmeichelt, indem er ihnen das Traurige im Leben verbarg und ihnen nur den schönen Menschen zeigte. Alles strömt beifallklatschend hinter ihm her und folgt seinem Triumphwagen. Einen großen Weltpoeten nennt man ihn, der hoch über allen anderen Genies der Welt schwebe wie der Adler über den anderen Hochfliegern. Schon bei der bloßen Nennung seines Namens beginnen die heißen Herzen der Jugend zu beben; Tränen innigen Verständnisses glänzen ihm aus allen Augen entgegen … Nichts kommt ihm an Macht gleich – er ist ein Gott! Aber von ganz anderer Art ist das Schicksal des Schriftstellers, der es wagt, all das zur Darstellung zu bringen, was uns zwar fortwährend umgibt, was aber doch der gleichgültige Blick der Menge nicht sieht, den ganzen furchtbaren, ekelhaften Schlamm des Kleinlichen, in dem unser Leben tief steckt, das wahre, innerste Wesen der kalten, unharmonischen Alltagscharaktere, von denen unsere irdische, mitunter so bittere, öde Lebensbahn wimmelt, des Schriftstellers, der sich erkühnt, durch die starke Kraft seines Meißels diese Charaktere mit plastischer Deutlichkeit aller Welt vor Augen zu stellen! Er erntet nicht den Applaus der Menge; er erblickt keine dankbaren Tränen und kein einmütiges Entzücken von Seelen, die er gerührt hat; ihm fliegt nicht das sechzehnjährige Mädchen, von süßem Schwindel und heroischem Wonnegefühl erfaßt, entgegen; er kann nicht in angenehme Selbstvergessenheit versinken, bei dem lieblichen Zauberklange der Töne, die er selbst seiner Leier entlockt hat; er kann endlich nicht der zeitgenössischen Kritik entgehen, dieser heuchlerischen, gefühllosen Kritik, welche die Geschöpfe, die er liebevoll gehegt und gepflegt hat, niedrig und gemein nennt, ihn in einen verächtlichen Winkel zu den Schriftstellern verweist, die die Menschheit beleidigt haben,
Weitere Kostenlose Bücher