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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Rückkehr zu bewegen.
     
    Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die patschnassen Schneeflocken wurden von der Bora fast waagerecht durch die Straßen gepeitscht. Wenige Autos fuhren im Schrittempo vorbei. Nach den Spuren auf dem Gehweg zu schließen, hatte sich bis jetzt kaum ein Fußgänger hinausgewagt. Drei Häuser weiter stand die Feuerwehr. Ein Mann versuchte auf der zum vierten Stock ausgefahrenen, schwankenden Drehleiter einen nur noch an einem Haken schaukelnden Fensterladen abzunehmen, bevor der Wind ihn auf die Straße schleuderte. Laurenti schlug den Kragen hoch, wechselte die Straßenseite und ging nahe an den Hauswänden entlang. Die Naturgewalten, die ihm ins Gesicht peitschten, taten ihm gut, auch wenn sie ihn nicht von seinem Kummer ablenken konnten. Er kam an den geschlossenen Rolläden der Galerie seiner Freunde vorbei, mit denen er jetzt gerne gesprochen hätte. Ihre Anteilnahme hätte ihn getröstet. Doch am Sonntagmorgen war mit ihnen nicht zu rechnen. Wahrscheinlich lagen sie noch mit Barney, dem kleinen Terrier, im Bett.
    Die Nässe drang durch die Ledersohlen seiner Halbschuhe. Kurz vor dem Zeitungsladen kam ihm ein anderer Mann entgegen, die Schultern hochgezogen und den Schal fast bis unter die Augen gewickelt. Sie begrüßten sich knapp, und Laurenti ging als erster hinein. Die Verkäuferin trug Wollhandschuhe, die ihre Fingerspitzen frei ließen, und eine dicke Lammfell-Jacke. Der kleine Gasofen war zu schwach, den Laden ausreichend zu beheizen.
    »Was für ein herrlicher Tag«, begrüßte sie Laurenti.
    »Das kannst du laut sagen!«
    »Wie lange das wohl dauern mag?«
    »Die Voraussagen geben nicht viel Grund zur Hoffnung.«
    »Fast wie im Winter 1984/85«, sagte der andere Mann. »Damals war am Molo Audace sogar das Meer zugefroren.«
    »Gib mir bitte den ›Piccolo‹, den ›Corriere‹ und ›Il Sole 24 Ore‹.« Laurenti war nicht zum Plaudern aufgelegt. Obwohl er seit über fünfundzwanzig Jahren in Triest lebte, konnte er sich noch immer nicht daran gewöhnen, daß die Stadt tagein tagaus das zentrale Gesprächsthema für ihre Bewohner blieb, über das sie sich unermüdlich und endlos wiederholend unterhalten konnten. Wer erinnerte sich schon an einen Winter vor sechzehn Jahren?
    Die Verkäuferin legte die Zeitungen aufeinander. »Fünftausendzweihundert.«
    Er warf das Geld auf den Tisch, dann fiel sein Blick auf das Zigarettenregal hinter ihr. »Und eine Schachtel Marlboro und ein Feuerzeug, ein rotes, Gianna!«
    »Was? Du rauchst doch gar nicht, Proteo!«
    »Für alle Fälle.«
    »Fünfzwei und sechsacht … genau zwölftausend.« Sie schüttelte den Kopf und sparte sich den Kommentar, schließlich lebte sie davon, das Zeug zu verkaufen.
    Er zog ein paar weitere Geldscheine und Münzen heraus, klemmte die Zeitungen unter den Arm, steckte Zigaretten und Feuerzeug in die Jackentasche, schlug den Kragen wieder hoch und ging zur Tür.
    »Hoffen wir, daß es bald vorbei ist. Buona giornata!«
    »Gleichfalls, Proteo, und grüß Laura von mir!«
    »Mach ich«, brummte er und zog die Tür auf. Eine heftige Böe schlug in den Laden und blätterte aufgeregt die Titelseiten einiger Zeitschriften um. Laurenti zog die Tür kräftig hinter sich zu und machte sich auf den Weg. Er kämpfte sich gegen die Bora durch die graue Stadt, die an diesem Morgen nicht zu erwachen schien.
    Fünfzehn Minuten später saß er im »Caffè San Marco«, dem alten denkmalgeschützten Kaffeehaus auf der Rückseite der Synagoge. Es war das einzige aus jener großen Zeit der Stadt, das unverändert erhalten geblieben war, und man hatte immer den Eindruck, daß jeden Moment einer der famosen Dichter von einst eintreten könnte. Die Kellner wunderten sich, den Polizisten am Sonntagvormittag hier zu sehen. Er saß sonst nur unter der Woche in der Mittagspause am stets gleichen Tisch und las. Und heute hatte er sich nicht einmal rasiert.
     
    Die letzten Wochen waren hart gewesen. Der Staatsanwalt hatte eine Aktion gegen die illegalen Chinesen in Triest von langer Hand vorbereitet. Unzählige und endlose Koordinationssitzungen gingen der Razzia im ganzen Stadtgebiet voraus. Der Untersuchungsrichter gab am Ende grünes Licht, und vergangenen Freitag hatten sie zugeschlagen: Sechzig Streifenwagen und dreihundert Mann Besatzung von der Polizia Statale und der Guardia di Finanza durchsuchten gleichzeitig dreizehn Geschäfte, neun Restaurants und siebenundzwanzig Wohnungen. Es war die große, seit langem erwartete

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