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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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und suchten das Weite, solange sie noch jung waren.
    Bruna war nur ein paarmal mit Ermano ausgegangen, zum Abendessen oder ins Kino und einmal, an einem Sommerabend, zum Konzert, vor dem mit farbigen Lichtern angestrahlten Schloß Miramare. Dort hatte man sie gesehen. Ugo wußte es schon am nächsten Tag. Er sagte nur, daß er keine Lust habe, den Gehörnten zu spielen. Das war alles. Kein Wort, keine verzeihende Geste, nichts. Nur das Kind behandelte er wie einen Menschen. Aber wann sah er sie schon? Morgens, wenn er zurückkam, war sie bereits in der Schule, nur am Nachmittag, bevor er zum Hafen ging, verbrachten sie eine Stunde zusammen. Nicoletta war stolz auf die Liebe ihres Vaters und ließ dies ihre Mutter spüren. Und dann kam der Tag, als Ugo einen Stock höher zog.
     
    Bruna Saglietti war inzwischen sechsundfünfzig. Zu ihrer Tochter hatte sie ein distanziert-freundliches Verhältnis. Am Sonntag fuhren sie manchmal nach Muggia zum Mittagessen oder auf den Karst, in den Collio oder über die Grenze nach Istrien. Aber stets hatte Bruna das unangenehme Gefühl, daß diese Ausflüge aus Mitleid gemacht wurden. Seit Ugos Auszug gab es keine Herzlichkeit mehr.
    Inzwischen schaute Bruna meist täglich im Fischladen Nicolettas vorbei, der im dottergelb gestrichenen niedrigen Trakt der alten Kaserne der Via XXX Ottobre lag. Sie nahm eine Tüte Sardinen mit und wunderte sich über Nicoletta, die immer wortkarger wurde und verschlossener und keine Miene mehr verzog. Nicoletta kam sehr nach ihrem Vater.
     
    Bruna öffnete zwei Thunfischdosen und füllte sie in den Futternapf der Katzen, die sich ohne Hast darüber hermachten. Einen kleinen Rest gab Bruna auf einen Plastikteller. Die leeren Dosen stellte sie auf den Boden. Sie riß ein Päckchen Grissini auf und aß drei dieser Brotstangen dazu. Dann stellte sie den Plastikteller auf die anderen in einer Ecke der Küche. Der Stapel wurde höher und höher. Die leergeleckten Dosen stellte sie wie jeden Tag in einen Winkel ihres Wohnzimmers. Zwei Stunden später hörte sie oben wieder die Schritte ihres Mannes. Sie wunderte sich, denn es war viel zu früh. Noch nie hatte sie ihn vor sechzehn Uhr aufstehen hören. Kurz darauf fiel seine Wohnungstür laut ins Schloß. Bruna setzte sich in den Sessel und rätselte, wohin er ging.
     
    *
    Proteo Laurenti erwachte an diesem Dienstag früher als sonst. Draußen schien zu seiner Überraschung die grelle Morgensonne von einem wolkenlosen Himmel. Von der Bora nera war nichts mehr zu spüren, nur die Schneereste, die in den nächsten Stunden wegschmelzen würden, erinnerten an das Unwetter. Proteo spürte einen hämmernden Kopfschmerz und versuchte, auf der Klobrille sitzend, den Kopf in beide Hände gestützt, zu rekapitulieren, was alles passiert war in der Nacht.
    Natürlich hatte er die falschen Dinge getrunken. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen, die Hochprozenter, Grappa und erst recht irgendwelche Cocktails stehen zu lassen? Aber Vorsätze sind dazu da, gebrochen zu werden. Er hätte beim Wein bleiben sollen, wie immer. Hatte er sich schlecht benommen? Wahrscheinlich war er ausfällig geworden. Wahrscheinlich hatte er alle Welt beleidigt. Wahrscheinlich sprach keiner mehr mit ihm oder er mußte sich auf einen Berg an Vorwürfen gefaßt machen. Verdammt, natürlich wäre das nicht passiert, wenn Laura noch da wäre. Alles wegen ihr. Und selbst sein Stuhlgang funktionierte nicht ordnungsgemäß, wenn sie weg war.
     
    Er war am Nachmittag nach Contovello hinauf gefahren, wo er mit Sgubin drei Stunden im Mobilen Kommissariat ergebnislose Gespräche mit den Dörflern führte. Lediglich den alten Gubian sah er finster von Haus zu Haus gehen, an den Türen klingeln oder klopfen, eintreten und nach kurzer Zeit wieder herauskommen, auf dem Weg zum nächsten Haus.
    Als Laurenti spürte, daß keiner im Dorf etwas Neues über die Gubians mitzuteilen hatte, überließ er die Befragungen seinem Assistenten und fuhr ein paar Kilometer weiter zu der Kaserne bei Opicina. Fast einen Kilometer zog sich die gelbe, stacheldrahtbesetzte Mauer die Straße entlang. Die Wachtürme schienen ihm unnötig, so abstoßend war das Gelände von außen, und die Schilder, mit denen das Betreten des militärischen Geländes untersagt wurde, ebenfalls. Am Tor mußte er seinen Dienstausweis zeigen, der ihm erst nach geraumer Zeit zurückgegeben wurde. Das Verhältnis zwischen Carabinieri und Polizia di Stato hatte sich in den letzten Jahren zwar

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