Die Toten Vom Karst
wieder zwang das Meer sie zu einer Pause, in der die Männer das Rollen der Wellen beobachteten. Immer wieder trafen sie starke Querseen aus Nordosten. Der Wind und vor allem die Strömungsverhältnisse waren nur schwer berechenbar.
Als Gubians Männer die letzte Kiste auf die Bordwand gehoben hatten, traf sie eine große, harte Welle, die sich schon als schäumender, weißer Kamm auf einige Entfernung in der Meeresschwärze angedeutet hatte. Sie war in einem spitzen Winkel auf sie zugerast und schnitt sich mit der konstant einlaufenden See genau an der Position der beiden Kutter. Marasis hastiges Zeichen an den Kroaten kam zu spät. Die Woge krachte gegen die Bordwand und schickte die Gischt hoch über das Steuerhaus. Der Kutter richtete sich nach dem Schlag wieder blitzartig auf. Marasi krachte mit der Schulter zuerst auf das Steuer und dann gegen den Türpfosten des Steuerhauses.
Die Männer an Deck der »San Francesco« wurden durch die Wucht des Schlags überrascht. Marasi konnte sie nicht mehr warnen. Die letzte Kiste wurde auf die »San Francesco« geschleudert und riß Luca zu Boden. Giuliano, der an der Bordwand stand, wollte sie abfangen und strauchelte. Er griff nach dem langen Ende des Taus, mit dem die Kutter vertäut waren, und das als einziger Halt in Reichweite war. Giuliano stolperte und stürzte nach vorne, schlug mit dem Bauch auf den Poller, der sich wie ein Faustschlag in seine Magengrube bohrte. Er stieß vor Schmerz einen kurzen Schrei aus, ruderte mit den Armen und suchte krampfhaft nach Halt, doch seine Hände griffen ins Leere. Dann kam der Rückschlag. Die beiden Schiffskörper rissen wieder auseinander. Und wieder richtete sich die »San Francesco« auf, während der Kroate in die Gegenrichtung krängte. Ein schwarzer Abgrund öffnete sich zwischen den Schiffen. Giulianos Beine folgten seinem weit hinausgebeugten Oberkörper. Er griff nach einem losen Tau, das ihm keinen Halt gab. Die See warf die Kutter wieder gegeneinander, die Bordwände krachten zusammen. Giuliano verschwand in der hoffnungslosen Schwärze, die sich über ihm schloß. Marasi stürmte aus dem Führerstand zur Bordwand, riß das Tau, an dem Giuliano hoffnungslos Halt gesucht hatte, mit aller Kraft zurück und fiel auf das Deck.
»Giulianooooooooo!« Sein Schrei durchschnitt den Sturm wie ein Messer und wiederholte sich wie ein Echo in den Köpfen der anderen. »Macht los! Macht schon los!« Er brüllte sich die Kehle aus dem Leib und riß die Taue von den Pollern. Irgend jemand warf eine leere weiße Styroporkiste hinaus, die auf den Wellenkämmen mit der Strömung rasch davon ritt und in der Dunkelheit verschwand. An Bord waren weder Schwimmwesten noch Rettungsringe. Die alten Fischer waren bislang ohne sie ausgekommen und die Vorschriften hatten sie noch nie interessiert.
Beide Schiffe drehten in die Dunkelheit und suchten mit den Scheinwerfern im aufgewühlten Meer. Doch wie hätten sie einen Kopf und winkende Arme oder gar einen in den Wellentälern treibenden Körper erkennen können? Nicht nur das fehlende Licht machte es unmöglich. Die Proportionen von Mensch und Elementen waren wiederhergestellt. Immer wieder zog Marasi das Steuer herum und beschleunigte die Maschine, bis er sich dort wähnte, wohin die Strömung Giuliano getrieben haben mußte. Die weiße Kiste diente als einziger Anhaltspunkt. Marasi drosselte die Maschinen, während der Kroate ihn in einem weiten Kreis umfuhr. Aber sie fanden Giuliano nicht, nicht einmal ein Gebet konnte helfen.
Nach einer Stunde gaben die Kroaten die Suche auf. Sie drehten ab, ohne sich noch einmal zu verständigen. Gubians Männer fuhren zurück nach Pola, in drei Stunden wären sie zu Hause. Die Männer aus Triest kreuzten noch eine Stunde an der Position, die Lampen auf die See gerichtet, bis Marasi irgendwann wortlos den Diesel beschleunigte und Kurs nach Norden nahm.
Ugo, Mario und Luca standen wortlos im Steuerhaus und glichen die Bewegungen des stetig vor sich hinstampfenden Kutters mit federnden Beinen aus. Jeder einzelne ihrer Knochen schmerzte. Keiner schaute den anderen an. Sie hatten die Kisten noch gemeinsam unter Deck gebracht, schweigend. Sie wurden wie üblich unter dem Fisch verstaut. Es war kaum mit einer Kontrolle der Ladung durch die Guardia di Finanza oder die Capitaneria zu rechnen. Marasi würde vor dem Einlaufen die Behörde per Funk über Giulianos Unglück verständigen, die Beamten sie dann an Land erwarten. Doch die Ware der
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