Die Toten Vom Karst
alten Sturköpfe wurde kaum mehr kontrolliert. Sie hatten beinahe Narrenfreiheit. Die Ladung würde unter der Aufsicht Nicolettas gelöscht werden, käme von der Waage in die beiden bereitstehenden Kühltransporter. Die Beamten der Capitaneria würden nur das Schiff und die Ausrüstung inspizieren, der Fang interessierte sie nicht. Sie wußten wie Fische aussahen. Später würden sie die Männer in dem modern renovierten Terminal des ehemaligen Wasserflughafens an der Piazza Duca degli Abbruzzi verhören. Sie würden die Aussagen der alten Fischer protokollieren und sie am Nachmittag und in den Tagen darauf mit weiteren Fragen belästigen. Marasi und seine Männer kannten den Ablauf, der sich über Jahrzehnte kaum verändert hatte. Wenn die alten Fischer wortkarg blieben, war für die Beamten nichts zu holen.
Nach einer Stunde Fahrt sagte Mario: »Du hast ihn umgebracht, Ugo! Es war Wahnsinn!«
Marasi reagierte nicht.
»Ich sagte, du hast ihn umgebracht, Ugo! Wir hätten nicht fahren dürfen.«
»Es war die Entscheidung von uns allen.« Marasi schaute ihn mit kaltem Blick an. »Ich habe niemandem befohlen, daß er mitfährt.«
»Heute hätten wir nicht fahren dürfen«, sagte nun auch Luca.
Dann schwiegen sie wieder. Irgendwann ging Mario hinaus aufs Deck und setzte sich auf die Netze. Er zog eine Flasche mit Rotwein aus einer Tasche und ließ den Verschluß aufschnappen. Mit einem Zug trank er die halbe Flasche aus. Hemmungslos liefen ihm die Tränen über die Wangen. Er setzte die Flasche noch einmal an. Dann ging er zurück ins Steuerhaus. Die See war noch rauher geworden, sie liefen in den stürmischeren Teil des Golfes und wären bald zu Hause.
»Es ist beim Einholen des Netzes passiert«, sagte Marasi. »Ein Ruck und ein Schlag der querlaufenden See. Mehr haben wir nicht zu sagen. Die Position geben wir an.«
»Und die Ware?« fragte Luca.
»Wird verladen wie sonst. Nicoletta erwartet uns.«
Sie fuhren zurück in italienische Gewässer.
Marasi griff zum Funkgerät und meldete sich bei der Capitaneria an. »San Francesco. TS 47819, Torino Salerno quattro sette otto uno nove. Kommen aus internationalen Gewässern, Kurs Triest.«
»Guten Morgen, Marasi! Haben Sie genug? Erklären Sie Besatzung und Ware!«
»Fisch! Vier Doppelzentner. Drei Mann Besatzung. Eine Vermißtmeldung. Mann über Bord in internationalen Gewässern, auf 13 Grad 10 Minuten östlicher Länge und 45 Grad 41 Minuten nördlicher Breite.«
Auf der anderen Seite herrschte kurzes Schweigen.
»Nennen Sie die Personalien!«
»Scropetti, Giuliano, 65 Jahre, Via della Madonnina 15, Triest.«
»Wir erwarten Sie an der Mole. Verändern Sie nichts an Bord. Ende.«
Die Bora wehte nur noch mit fünfzehn Knoten über dem Golf von Triest. Sie hatte den Himmel von den schweren Wolken befreit, sie weit nach Westen Richtung Venedig getrieben. Der Himmel war klar, die Sterne strahlten hell, und der Mond, der über Aquiléia unterging, warf sein letztes weißes Licht über das Meer. Im Osten deutete sich der Tag an, als sie kurz vor sieben Uhr in den Hafen einliefen. Auf der Mole warteten zwei Fahrzeuge der Capitaneria del Porto und zwei Kühlwagen, sowie der Fiat Panda von Nicoletta. Sieben Personen beobachteten mit finsteren Mienen das Einlaufen des Kutters.
Brunas freier Tag
Bruna wunderte sich, weil an diesem Morgen seine Schritte nicht zu hören waren. Es war ihr freier Tag als Ausgleich für die Arbeit am vergangenen Samstag. Heute wenigstens würde sie ihm nicht auf der Treppe begegnen. Sie hatte sich oft gefragt, ob er es absichtlich so einrichtete, daß er genau dann zurückkam, wenn sie aus dem Haus mußte. Nur damit er mit finsterem Blick grußlos an ihr vorbeigehen konnte, die Nase hochziehend, geräuschvoll rotzend. Keine Bewegung in dem geröteten Gesicht. Die Schultern hochgezogen und die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Noch bevor sie die Haustür öffnete, hörte sie, wie seine Wohnungstür laut ins Schloß schlug. War sie einmal später dran, dann hörte sie nur den Knall seiner Wohnungstür einen Stock höher, danach seine schweren Schritte in dem kleinen Flur, und dann die leiseren, in der Küche. Er hatte die Stiefel aus- und die Pantoffeln angezogen, wie er es früher zu Hause tat. Sie hörte ihn in der Küche hantieren. Während sie ihre Kaffeetasse abwusch, goß er sich Rotwein ein. Während sie ihren Katzen einen guten Tag wünschte und ihren Mantel anzog, hörte sie ihn in sein Wohnzimmer schlurfen und kurz
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