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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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darauf einen weiteren Krach. Die Tür seines Schlafzimmers. Sie schloß ihre Wohnungstür immer leise.
    An diesem Tag mußte Bruna Saglietti nicht hinaus und hörte ihn erst gegen Mittag. Dem Zuschlagen der Wohnungstür folgte das Geräusch in der Küche. Er blieb diesmal länger dort als sonst. Sie hörte, wie er einen Stuhl über die Steinfließen zog. Sie hatte ihr Dampfbügeleisen abgesetzt und lauschte. Zwei der Katzen strichen um ihre Beine und schnurrten. Die anderen beiden saßen am Fenster und blinzelten durch die kleine Spalte in dem geschlossenen Rolladen, den sie seit Jahren nicht mehr öffnete. Bruna zuckte zusammen, als sie von oben plötzlich ein fremdartiges Geräusch hörte. Es war, als hätte er etwas gegen die Wand geworfen. Sie hörte Glas klirren, dann einen lauten Schrei. Dann Stille. Wie erstarrt stand sie am Bügelbrett und lauschte, während das Bügeleisen leise vor sich hin fauchte. Endlich hörte sie, wie er mit einem Besen die Scherben zusammenkehrte, dann seine Schritte zum Schlafzimmer und schließlich die Erschütterung der Wände, als er die Tür zuschlug. Wenig später erzitterte die Zimmerdecke. Marasi hatte sich hingelegt.
    Bruna Saglietti nutzte den freien Tag für ein paar Hausarbeiten und die üblichen Dinge, für die sie sonst keine Zeit hatte. Sie arbeitete in der Haushaltswaren-Abteilung des Kaufhauses auf dem Viale XX Settembre. Zuerst als Verkäuferin, seit einigen Jahren als stellvertretende Abteilungsleiterin. Sie war stets zuverlässig und legte Wert darauf, immer adrett gekleidet und frisiert zu sein. Es war nicht weit von ihrer Wohnung in der Via Stuparich zur Arbeitsstelle. Unter ihren Kolleginnen war sie beliebt, blieb bescheiden und fleißig und immer freundlich, doch Freunde hatte sie schon lange nicht mehr. Sie redete höchstens mit ihren Katzen. Einmal waren es sieben, jetzt vier. Oft dachte sie darüber nach, ob sie noch eine neue aufnehmen sollte, oder zwei, aber der Platz in der Wohnung wurde immer enger.
    Ihre Tochter war schon lange aus dem Haus, der Mann 1975 einfach in die Wohnung einen Stock höher gezogen, als er davon hörte, daß sie frei wurde. Warum ist er nur im selben Haus geblieben, fragte sie sich oft. Es wäre so leicht gewesen, eine andere Wohnung in einem anderen Haus zu finden. Weg von ihr, wenn er schon weg ging von ihr, warum dann nicht richtig?
    Er hatte es nicht angekündigt. Am besagten Tag hatte er einfach seine Kleider zusammengesucht, sie über den Arm geworfen, hatte sein Kopfkissen, die Decke und ein Laken auf den Arm gepackt und war aus der Tür gegangen. Sie war hinter ihm auf den Flur getreten, hatte mit stummem Entsetzen beobachtet, wie er die Treppe zum zweiten Stock hinaufgegangen war, wo er den Schlüssel im Schloß drehte. Er kam gleich darauf zurück, nahm in der Küche einen Teller und ein Glas, eine Gabel, ein Messer und einen Löffel, eine Tasse und einen Topf, holte danach im Bad Handtuch und Waschzeug. War er verrückt geworden? Diesmal zog er die Tür hinter sich ins Schloß, und wenig später hörte sie seine Schritte wieder in der oberen Wohnung.
    Er kam nicht mehr zurück. Als sie ihn am Nachmittag die Treppe herunterkommen hörte, öffnete sie die Tür und fragte, was das zu bedeuten habe. Er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde und ging dann, ohne ihren Blick zu erwidern, schweigend an ihr vorbei. Es war die Uhrzeit, zu der er nachmittags seit Jahren das Haus verließ. Seither sprach er kein Wort mehr mit ihr. Nur durch ihre Tochter erfuhr sie damals, daß er sich für immer von seiner Frau getrennt habe und nur wegen ihr, der Kleinen, im selben Haus bliebe.
     
    Danach ging Bruna erst nach fünf Wochen wieder zur Arbeit. Sie hatte stark abgenommen, alle Zuversicht war aus ihren Augen gewichen. Trotz der Tabletten, die ihr der Arzt verschrieben hatte, fühlte sie sich noch immer schwach. Nach der Arbeit ging sie stets direkt nach Hause und traf sich selbst an schönen Sommerabenden nicht mehr mit den Kolleginnen oder Freundinnen. Niemand wußte, was sie tat, und bald fragte man sie auch nicht mehr danach. Sie war eine andere geworden. Dabei war sie damals erst einunddreißig und die Tochter acht, Ugo war fast fünfzig. Bruna schämte sich wegen ihrer Hilflosigkeit. Sie konnte mit niemandem darüber sprechen, daß ihr Mann sie verlassen hatte und sie keine Ahnung hatte, weshalb. Fast alle Fischer waren geschieden, weil die Frauen sie verlassen hatten. Nach einigen Jahren hatten die meisten Frauen die Nase voll

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