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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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ist Anfang, Mitte Siebzig, sehr muskulös, nur die Hände sind eigenartig. Groß und abgearbeitet, echte Arbeitshände.«
    »Todesursache?«
    »Du machst mir Spaß, Laurenti! Das, was in seinem Herz steckt, ist eine Harpune, abgeschossen aus geringer Entfernung. Sie hat den Körper komplett durchschlagen, schaut hinten raus. Hier«, Galvano schob Laurenti ein Stück zur Seite.
    Laurenti warf einen flüchtigen Blick auf die Pfeilspitze.
    Galvano schnitt den Draht mit einer Zange durch und steckte ihn in eine Plastiktüte, die er rasch verschloß und in den Schnee fallen ließ.
    »Stranguliert?« fragte Laurenti.
    »Nein, nein. Das hat ihn nicht umgebracht. Es sollte ihn nur daran hindern, sich zu bewegen.« Er hob den Sack ein Stück über den Hals. »Schau, der Draht hat nicht tief in die Haut eingeschnitten.« Dann zog er den Sack ganz hoch und befreite den Kopf des Toten. Weiße Bartstoppeln bedeckten die eingefallenen, grauen Wangen und das Kinn.
    »Gestern morgen hat er sich noch rasiert«, sagte Galvano und strich fast zärtlich mit dem Finger über die Wange des Toten. Die Augen starrten sie weit geöffnet an.
    »Augenfarbe blau«, stellte der Gerichtsmediziner fest, als mache er einen Witz.
    »Wie alt?«
    »Hab ich dir schon gesagt! Etwas jünger als ich, schätze Mitte Siebzig.« Galvano hielt den Jutesack noch immer in einer Hand. »Schauen wir uns den Sack mal genauer an. Laurenti! Halt den anderen Zipfel.«
    »Café do Brasil – Trieste – Italy« stand in großen schwarzen Lettern aufgestempelt.
    »Das hilft uns nichts«, sagte Galvano und stopfte den Jutesack in einen anderen aus Plastik. »Sieht nach einer Hinrichtung aus. Bis auf die Harpune ist alles typisch.«
    »Typisch für was?« fragte Laurenti.
    »Typische Foltermethode der Slawen. 1943 und 1945. Ich habe viele von denen gesehen. Man hat sie auf das Gestell gebunden und hängen lassen. Wenn man sie nach ein paar Stunden wieder abgenommen hat, waren ihre Arme für Wochen gelähmt. Wenn man sie überhaupt wieder abnahm.«
    »Das war vor über einem halben Jahrhundert«, sagte Laurenti. »Wie lange ist er tot?«
    »Etwa zwölf Stunden. Ich schätze, daß es zwischen zweiundzwanzig Uhr und zwei Uhr letzte Nacht geschah. Die Totenstarre setzt nach etwa fünf, sechs Stunden ein, zuerst im Herzmuskel und im Zwerchfell, danach von den Kopfmuskeln nach unten.« Galvano gab zur Illustration dem nackten, linken Bein des Toten einen Stoß. Es wippte steif. Laurenti versuchte, nicht hinzuschauen. »Sie verschwindet frühestens nach vierundzwanzig Stunden wieder, oft viel später. Der hier ist noch weit davon weg.«
    »Gibt es Spuren?«
    »Reifenspuren da vorne. Ein Kleinwagen, nach der Spurbreite zu schließen. Fiat Punto oder etwas Ähnliches. Fußabdrücke im Schnee von zwei Personen. Von ihm hier und einem anderen. Genau das irritiert mich. Einer alleine hat den hier kaum aufs Gestell gebracht. Der hätte auch dich noch k.o. geschlagen, Laurenti. Das ist ein richtiger Bulle. Über Siebzig, aber Muskeln wie ein junger Stier.«
    »Und der Sack überm Kopf? Wie hätte er sich wehren können, ohne etwas zu sehen?«
    »Mag sein. Aber ich glaub’s nicht. Einer alleine hätte damit viel zu tun gehabt. Zuerst das Gestell aufbauen. Gut, das haben sie vielleicht mitgebracht. Dann den Alten hinaufhieven? Wie soll das gehen?«
    Laurenti schaute sich um. »Zum Beispiel mit einem Stein oder einer Kiste, auf die er steigen mußte.«
    »Und wo ist die Kiste jetzt?«
    »Mitgenommen, Galvano! Die Kleider sind ja auch nicht mehr da.«
    »Trotzdem, Laurenti. Das war mehr als einer.«
    »Aber Sie sagten doch selbst, daß nur von zwei Leuten Spuren da sind.«
    Galvano schüttelte stur den Kopf. »Das ist es eben … Aber dennoch …«
    »Und wenn man ihn vorher erledigt und dann hierher getragen hat?«
    »Dann wären genau hier keine Blutspuren unter ihm im Schnee. Und eine andere Verletzung hat er nicht. Nur einer alleine, ich kann mir das nicht vorstellen.«
    »Warum ist er halb nackt?«
    »Das hab ich dir doch schon gesagt, sie haben es immer so gemacht. Sie haben ihnen alles abgenommen. Niemand sollte identifiziert werden können. Das gehörte zur Taktik. Man verhinderte damit, daß der Verbleib der Opfer bekannt wurde, verhinderte Racheakte, Ansprüche, Aufklärung etc. Außerdem brauchte man die Kleidung der Toten, es war Kriegsende, da nahm man, was man bekam, übrigens normalerweise auch die Unterhosen, egal wie lange sie einer schon anhatte und wie verschissen sie

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