Die Toten Vom Karst
waren.«
Laurenti seufzte. »Ihren Zynismus kann ich nicht immer gleich gut ertragen, Galvano.«
»Es war so, Laurenti! Ich kann dir nichts anderes erzählen. Ihr Jüngeren könnt euch das gar nicht mehr vorstellen.«
»Die Harpune? Wer erschießt eigentlich jemanden auf dem Karst mit einer Harpune? Das ist doch absurd!«
»Das ist die erste intelligente Frage, die du stellst! Aber das mußt du selbst herausfinden. Dafür wirst du bezahlt.«
»Erinnern Sie sich an einen Fall mit einer Harpune, Doc? Ich nicht.«
Galvano schüttelte den Kopf. »Willst du ihn noch eine Weile ansehen, oder kann ich ihn abhängen lassen?«
Laurenti drehte sich um. Er hatte gesehen, was er nicht sehen wollte. Er wußte, daß der Gerichtsmediziner gut daran getan hatte, ihm den Anblick zu präsentieren. Von einem solch sonderbaren Mord hatte er noch nie gehört. Nur hier am Ort konnte man die Brutalität verstehen. An diesem Ort, wo einst unzählige Opfer den Tod fanden. Aneinander gebunden und mit der MG-Salve nur auf die ersten drei geschossen, die weitere zehn Menschen mit sich in die Tiefe rissen. Oder ein Herzschuß der Brust an Rücken gefesselten, um Munition zu sparen. Aber eine Harpune auf dem Karst? Was hatte das zu bedeuten?
Laurenti hörte die Anweisungen Galvanos und sah endlich Sgubin, der sich bei den anderen Beamten aufhielt und leise mit Umberto Marrone, dem Dienststellenleiter aus Opicina sprach.
»Wir werden uns nun doch um die Foiba-Geschichte kümmern müssen, Sgubin. Galvano hat alles fotografiert. Ich will die Fotos sehen, bevor irgend etwas davon an die Presse geht. Und du kümmerst dich darum, schnellstmöglich herauszufinden, wer der Alte ist! Wer hat ihn überhaupt gefunden?«
»Ein Spaziergänger. Sie haben ihn schon nach Hause geschickt. Er hat ihn von hier aus gesehen und uns gleich verständigt.«
»Hast du seine Personalien, Sgubin?«
Der uniformierte Kollege blätterte in seinem Notizbuch. »Er heißt Perikles Ritsos, Via Stuparich.«
»Was?« Der Ausruf kam wie aus einem Mund.
»Perikles Rits …« Der Mann aus Opicina wollte seine Angaben wiederholen, doch Laurenti unterbrach ihn schroff.
»Warum haben Sie ihn weggeschickt?«
»Er sagte, er hätte einen dringenden Termin. Es gab keinen Grund, ihn länger festzuhalten.«
»Der Grieche von Sonntag!« Laurenti schüttelte den Kopf. »Was hat der hier oben zu suchen?«
Sgubin nickte. »Ich hasse Zufälle.«
»Er hat doch gesagt, daß er bei Fincantieri arbeitet. Und heute ist ein ganz normaler Arbeitstag. Du mußt nochmals mit ihm reden! Quetsch ihn aus. Am besten gleich. Ich fahr mit dem Doktor zurück.«
Umwege
Laurenti mußte warten, bis der Arzt sich endlich die Gummihandschuhe abstreifte und seinen weißen Kittel ablegte. Galvano beobachtete aufmerksam, wie zwei Männer den Toren unter großen Anstrengungen vom Eisengerüst abnahmen, und machte sich Notizen. Sie hatten Mühe, den alten Mann mit den steifen ausgestreckten Armen in die Zinkkiste zu bringen. Laurenti wandte sich ab und trat auf der Stelle, um sich warmzuhalten. Er fragte Umberto Marrone, wie oft die Beamten aus Opicina an der Foiba zu tun hatten, und hörte aus dessen gleichgültigem Kommentar, daß der Ort zu unbedeutend sei und mit Basovizza nicht zu vergleichen.
»Also, Laurenti, wenn du willst, können wir gehen«, sagte Galvano schließlich. »Sie bringen ihn jetzt zu uns. Dann kann ich den Rest erledigen und dir am Nachmittag schon sagen, was er zu abend aß.« Galvano zog seine Menthol-Dunhill aus der Jackentasche und bot sie an. Marrone und Sgubin lehnten ab, Laurenti nicht.
»Eigenartige Geschichte«, sagte Galvano. »Mein Wagen steht dort.« Er gab Marrone die Hand und klopfte Sgubin auf die Schulter. Laurenti folgte ihm zu dem roten Peugeot. Bevor er einstieg, warf er die angerauchte Dunhill in den Schnee.
Der alte Arzt wendete und steuerte langsam um die Schlaglöcher im Schotterweg. Auch auf der Landstraße beschleunigte er kaum und fuhr beharrlich in der Straßenmitte.
»Weißt du, Laurenti«, sagte er schließlich, »ich habe das Gefühl, daß der Fall sofort klar ist, wenn wir wissen, wer er ist.«
»Warum?«
»Weil er alt genug ist, um mit der Foiba zu tun zu haben. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder es ist ein Racheakt, das heißt jemand hat ihn genau so umgebracht, wie er das damals tat. Dann ist der Täter auf der Opferseite zu suchen und höchstwahrscheinlich Italiener. Oder, die zweite Möglichkeit: er hat das Schweigegelübde gebrochen,
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