Die Toten Vom Karst
Rindfleisch?«
Aber Laurenti winkte nur müde ab.
*
Die Handwerker, die damit beschäftigt waren, die größten Schäden an den Nachbarhäusern zu reparieren, machten gerade Pause, als die Trauergäste vom Friedhof wieder ins Dorf hinabströmten. Sie packten rasch die Brote und Getränke zusammen und suchten sich einen anderen Ort. Am Rande des Platzes hätten sie auch kein gutes Bild abgegeben, zwischen den bedrückten und verweinten Gesichtern, die sich nach und nach voneinander verabschiedeten. Auch die Polizisten standen in einer Gruppe zusammen, in der Sonne am Rand des Kirchplatzes. Sie warteten darauf, daß sie abziehen konnten. Gubian stand mit dem Priester vor dem Pfarrhaus, viele gaben dem Alten nochmals die Hand und boten ihre Hilfe an. Der Pfarrer lud ihn zum Mittagessen ein, doch Gubian lehnte ab.
»Was werden Sie jetzt tun?« fragte der Priester.
Gubian schaute ihn lange an. »Ich weiß es noch nicht.«
»Fahren Sie zurück?«
»Wahrscheinlich. Aber ich habe auch hier noch etwas zu tun.«
»Manlios Geschäft? Die Dokumente?«
»Das ist schon erledigt.«
»So schnell?«
»Ein Nachbar wird den Laden übernehmen. Er hat ein vernünftiges Angebot gemacht. Wir waren beim Notar und haben einen Vorvertrag aufgesetzt. Jetzt braucht das seine Zeit, bis die Dokumente fertig sind und er das Geld aufgetrieben hat. Dann komme ich wieder zum Unterschreiben.«
»Fahren Sie heute?«
Gubian Gesichtszüge wurden starr wie Fels. »Ich werde sie rächen, Padre! Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Der Priester erschrak über die eisige Kälte in Gubians Stimme.
»Überlassen Sie das der Polizei, Gubian! Laden Sie keine Schuld auf sich! Wir Menschen haben dazu kein Recht.«
»Ich muß es tun! Es ist das einzige, was mir geblieben ist.«
»Rächt euch nicht selbst, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: ›Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.‹ Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem, mein Sohn. Römer 12.«
Gubian schaute lange schweigend über den Platz, dann hinab auf den Golf und die Stadt in der Sonne.
»Sie wissen nicht, was es bedeutet, seinen einzigen Sohn zu verlieren, Padre. Ich fahre heute zurück nach Pola, aber ich komme wieder. Ich danke Ihnen für alles. Ich möchte, daß die Sachen meiner Familie, die noch brauchbar sind, den Bedürftigen hier zugute kommen. Aber ich weiß nicht, wann die Polizei sie freigibt. Würden Sie sich um die Verteilung kümmern?«
»Sie sind ein guter Mensch, Gubian. Die Leute werden es Ihnen danken!«
»Auf Wiedersehen, Padre. Danke!«
Der Priester hielt Gubians Hand in der seinen und schaute ihm in die Augen. Dann gab er ihm den Segen.
Der Alte ging noch einmal an den Rand des Kirchplatzes und stand lange alleine vor den Resten des Hauses seines Sohnes. Die Handwerker sahen, daß sich seine Lippen bewegten und die Fäuste ballten. Dann wandte er sich ab. Er stieg in seinen kleinen, weißen Mitsubishi und fuhr langsam davon.
*
Bevor Laurenti ins Büro ging, machte er einen Abstecher in die »Bar X« am Largo Piave und ließ sich zwei Tramezzini einpacken. Sein Vorzimmer war leer, Marietta war sicher beim Mittagessen, eine Beschäftigung, wie sie es nannte, die ihr wichtig war, denn im Gespräch mit den Kollegen aus anderen Abteilungen hörte sie Dinge, die Proteo auf den offiziellen Zusammenkünften kaum oder ganz anders erfuhr. Immer wieder, und nicht nur, wenn er sie spöttisch damit aufzog, eine »Gesellschaftsdame« zu sein, sagte Marietta, auch ihm würde ein Mittagessen unter Kollegen mehr nützen, als er glaubte. Doch Proteo Laurenti verabredete sich nur selten mit anderen Beamten. Er sprach grundsätzlich ungern über die Arbeit, die so schon genug Zeit beanspruchte. Ein langes Abendessen mit der Familie oder unter Freunden war ihm lieber. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und wickelte das Tramezzino mit Thunfisch und Ei aus und verschlang es gierig. Dann legte er die Füße auf den Tisch, starrte zum Fenster hinaus und wickelte das zweite Tramezzino aus der Plastikfolie: Gamberi in salsa rosa, einer Art Mayonnaise, schön fett, das mußte bis zum Abend vorhalten. Laura konnte seine Vorliebe für dieses Zeug nicht verstehen und erinnerte ihn gerne an seinen Cholesterinspiegel.
Laura! Wann hatte diese ganze Misere begonnen? Laurenti hielt das Tramezzino in der linken Hand und dachte nach. Der Sommer! Diesen Sommer hatten sie so viel weniger zusammen unternommen
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