Die Toten Vom Karst
niemand weg.«
Sgubin stellte den Motor ab und schaute seinen Chef fragend an.
»Warst du schon einmal an einer Foiba?«
Sgubin schüttelte den Kopf.
»Kein Interesse. Das ist doch längst vorbei«, sagte Sgubin. »Über die Foibe weiß sowieso niemand etwas Genaues.«
»Lassen wir den Wagen hier stehen und gehen zu Fuß.«
»Einen halben Kilometer?« Der Waldweg war naß und schmutzig, der Schnee auf der Hochebene im Schatten zwischen den Bäumen noch fest. Lediglich in den Fahrspuren der Autos kehrte sich der Untergrund braun an die Oberfläche. »Ich habe keine Lust auf einen Spaziergang.« Sgubin hielt sich wie ein trotziges Kind mit beiden Händen am Lenkrad fest.
»Mach, was du willst.« Laurenti war schon ausgestiegen. »Wir sehen uns dann dort.«
Die Reifen spritzten Splitt und Matsch an Laurentis Hosenbeine und hinterließen graubraune Flecken auf dem Stoff. Laurenti bemerkte es nicht, er sog die kalte Luft ein und ging langsam los. Nachdem der Fiat verschwunden war, vernahm er die Stimmen der Beamten. Von weiter her drang der Lärm der Fahrzeuge auf der großen Straße, die zum Grenzübergang Fernetti führte. Die Steineichen mit ihren grauen Stämmen standen dicht und blätterlos in dem Wäldchen neben dem Weg. Die Kalksteine des Karsts schimmerten an manchen Stellen wie Schatten durch die Schneedecke. Nach zweihundert Metern kam er zum Gebäude einer Wasserstation. Ein Generator summte monoton. Schon hier, kaum abseits der Straße, befand man sich in völliger Einsamkeit. Es gab keine Spuren im Schnee entlang des Weges, nicht einmal Fuchs und Hase schienen sich hier wohl zu fühlen.
Der Ort war ideal für ein Verbrechen. Laurenti stellte sich vor, wie Lastwagen mit Menschen auf der Pritsche über den ausgefahrenen Weg schaukelten. Eine Fahrt an den Platz, wo nur noch die Peiniger ihre Schreie hörten. Nach den Faschisten und den Deutschen, die Tito-Truppen, die ab Mai 1945 die Stadt für vierzig Tage besetzt hielten und versuchten, sie für Jugoslawien zu annektieren, wie das ganze Gebiet bis zum Tagliamento, das sie als geographische Einheit ansahen. Triest, Gorizia, Udine, das halbe Friaul. Schnellgerichte, Folterungen und Erschießungen waren an der Tagesordnung. Die Foibe dienten zur schnellen, spurlosen Entsorgung derer, die sich gegen den Plan gestellt hatten.
»Vielleicht hat Sgubin recht«, dachte Laurenti, »vielleicht sollte man wirklich die Finger davon lassen. Man kann keinem trauen, wenn man nach diesen Dingen fragt.« Er stapfte durch den Schnee an den Autos vorbei. Ein niedriges Mäuerchen aus Naturstein, zwischen dessen Einlaß eine dicke, schwarze Kette aus Schmiedeeisen zu Boden hing, umgrenzte die Gedenkstätte. Vor einem leeren, grüngestrichenen Fahnenmast stand in Stein graviert: »Foiba N° 149«. Zwanzig, dreißig Meter fiel der Weg leicht ab zu einer gewaltigen Platte aus schwarzem Stein, in deren Mitte ein großes Kreuz geformt war. Mit diesem Deckel hatte man die Foiba erst viele Jahre nach Kriegsende verschlossen, nachdem die Leichen geborgen waren. An der Vorderseite der Steinplatte lehnte ein großer Loorbeerkranz mit einer grünweißroten Plastikschleife und goldener Aufschrift, die Laurenti nur halb entziffern konnte: »… lla Cavalleria Brunner-Darchi-Alba Trieste – ai Caduti delle Foibe«. Der Kranz verdeckte an einer Stelle die eisernen Buchstaben an der Steinplatte. »ONORE E CRISTIANA PIETÀ A COLORO CHE QUI SONO CADUTI – IL LORO SACRIFICIO RICORDI DELLA GIUSTIZIA E DELL AMORE SULLE QUALE FIORISCE LA VERA PA_E«. Dem Frieden fehlte wieder einmal ein Buchstabe.
Laurenti wurde von Doktor Galvano erwartet, der stumm und angewidert auf das Objekt zeigte, dessentwegen sie hier waren: Ein Eisengestell, auf das ein alter, kräftiger Mann, nackt bis auf die Unterwäsche, geflochten war. Ein Kreuz aus Stahlträgern, die Arme des Alten waren darüber gezerrt, mit Draht festgebunden, seine Beine reichten fast bis zum Boden. In seinem Herz steckte der Pfeil einer Harpune. Ein brauner Jutesack war über den Kopf des Toten gestülpt und reichte bis über das Schlüsselbein. Am Hals war der Sack mit einem Stück Draht zusammengezogen, das im Nacken mit dem Stahlkreuz verbunden war.
»Da staunst du aber«, hörte Laurenti plötzlich den Gerichtsmediziner sagen.
»Porcamiseria!« Laurenti konnte seinen Blick kaum lösen.
»Ich hab ihn extra hängen lassen, bis du ihn gesehen hast.«
»Verflucht! Das ist grauenhaft. Wer ist er?«
»Das wissen wir noch nicht. Er
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