Die Toten Vom Karst
labilen Zustand, nachdem sie Ihren Vater auf dem Foto erkannte.«
»Wundert Sie das?«
»Natürlich nicht. Sie hat ihn vermutlich sehr geliebt.«
»Liebe?« Der verächtliche Tonfall war nicht zu überhören. »Gibt es das auf dieser Welt?« Nicoletta saß auf dem Beifahrersitz, beide Hände tief in den Taschen der wattierten blauen Seemannsjacke vergraben, und starrte geradeaus. »Warum nehmen Sie nicht die Via Milano? Das geht schneller.«
»Da war vorhin alles verstopft.« Laurenti wollte die Fahrt verlängern. Ein paar Minuten nur, um mit dieser unfreundlichen, groben und verschlossenen Frau mit der Männerstimme länger sprechen zu können. Er spürte, daß dies die einzige Chance war, außerhalb des Büros oder ihres Ladens, wo sie von all den toten Fischaugen bewacht wurde.
»Jetzt nicht mehr. Wir wären längst dort.«
»Haben Sie mit Ihrer Mutter gesprochen?«
»Sie hat mich vom Krankenhaus aus angerufen.«
»Ich wußte nicht, daß es so schlimm war. Das tut mir leid.«
»Das braucht es nicht. Ich glaube, sie ist nur dort, um näher bei ihm zu sein. Sie wird bald entlassen.«
Laurenti bog auf den Corso Italia ab, auf dem Autos sich auf drei Fahrspuren vor den Ampeln stauten. »Ich nehme an, Ihre Eltern waren glücklich verheiratet.«
»Glück? Schon wieder so ein Wort. Glück, Liebe? Wissen Sie, was das ist? Nein, sie waren es nicht.«
»Aber sie haben sich auch nicht getrennt? Also muß doch etwas da gewesen sein.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten die Via Milano nehmen. Hier brauchen wir eine Ewigkeit. Die Idioten können alle nicht Auto fahren.«
»Ihr Vater war Fischer und Sie waren seine Kundin. Seit wann haben Sie den Laden?«
»Lange. Ich kaufe auch bei anderen und liefere bis in die Region. Nicolettas Fische sind die besten. Bei mir finden Sie keinen einzigen Fisch aus der Zucht. Alles erste Qualität. Bei mir finden Sie nichts von dem importierten Quatsch. Seezungen und Rombi aus Holland, Scampi aus Argentinien, Hummer aus Kanada, alles Schweinereien!«
»Sagen Sie, kennen Sie die Familie Gubian?«
»Die aus Contovello?«
»Ja.«
»Ja.«
»Was waren das für Leute?«
»Weiß ich nicht.«
»Der Laden lief gut, wenn ich mich nicht täusche.«
»Ja, sicher. Das hat er gut gemacht.«
»Wir suchen noch immer nach einem Motiv und treten absolut auf der Stelle.«
»Da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Aber Sie kannten die Gubians?«
»Nicht gut. So wie man sich unter Geschäftsleuten kennt.«
»Sagen Sie, eine Frage: die Obduktion hat ergeben, daß die Familie Datteri zu Mittag gegessen hat. Die sind doch verboten.«
»Ja.«
»Und wenn ich jetzt welche haben wollte, wo würde ich mir diese beschaffen?«
»Da brauchen Sie einen guten Kontakt, dann ist das kein Problem. Oder Sie fahren einfach über die Grenze. Nach Slowenien oder Kroatien. In Kroatien sind sie auch verboten. Aber Sie kriegen sie trotzdem.«
»Werden Sie auch manchmal danach gefragt?«
»Kaum.«
»Und dann?«
»Nichts.« Sie schaute ihn forschend an. »Ich mache sowas nicht.«
»Warum nicht?«
»Wenn man erwischt wird, gibt es eine Menge Probleme. Die Strafen sind hoch. Das Risiko lohnt sich für mich nicht. Ich verdiene auch so genug.«
»Für viele andere ist das kein Argument.«
»Man sollte die Grundlage nicht zerstören. Alles Leben kommt aus dem Meer.«
Sie bogen in die Via Carducci ein, ein paar Meter noch, dann kämen sie durch die Seitenstraßen schneller voran.
»Und wo, glauben Sie, haben die Gubians die Muscheln gekauft? Ich meine, wo würden Sie suchen, wenn Sie an meiner Stelle wären?«
»Kaum in Triest.«
»Haben Sie schon einmal Datteri gegessen?«
»Klar. Aber ein Stück hausgemachte Salami ist mir lieber.«
»Wo?«
»Auf der anderen Seite der Grenze.«
Sie überquerten die Via della Ginnastica und standen wieder vor einer Ampel.
»Wenn Ihre Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wird, dann würde ich mir gerne die Unterlagen Ihres Vaters anschauen. Vielleicht gibt es einen Hinweis auf ein Treffen oder etwas anderes.«
»Da machen Sie sich besser keine Hoffnungen. Mein Vater hatte kaum Schriftliches. Das wenige, was sein mußte, Versicherungen, Verträge etc., habe alles ich für ihn gemacht. Papà vertraute nur seinem Gedächtnis. Das war präzise, wie bei niemand anderem. Die Arbeit mit den Unterlagen können Sie sich sparen.«
»Das würde ich gerne selbst entscheiden.«
»Wir werden sehen.«
»Auch Ihre Mutter sagte, er hätte alles für sich behalten. Ein hartes
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