Die Toten Vom Karst
aus dem Süden. Niemand fragte je nach den Schuldigen! Man hat uns einfach verschwiegen! Sie fragen, warum wir Gubian nicht angezeigt haben! Daß ich nicht lache! Wissen Sie, was mit der Anzeige passiert wäre? Die Kommunisten hätten sie einfach in den Müll geworfen. Gubian war kommunistischer Partisan! Er hat Violetta denunziert wegen nichts. Sie hatte ihn abfahren lassen. Sie wurde von der ganzen Meute vergewaltigt und dann in eine Foiba geworfen. Man hat sie später gefunden! Deswegen weiß man das! Den Mördern ist natürlich nichts passiert. Aber Sie werden schon sehen!«
Laurenti war restlos bedient. »Was werde ich sehen? Was, Signora! Mit was wollen Sie drohen? Ich weiß, daß Ihr Vater tot ist, umgebracht wurde, und daß Sie ihn identifizieren müssen. Das ist kein Vergnügen! Auf Ihre Beleidigungen kommt es deshalb nicht an. Aber hüten Sie sich, so zu reden, wenn jemand anderes dabei ist. Was war da mit der Schwester Ihres Vaters und Gubian? Haben Sie Beweise dafür, Unterlagen, Aussagen? Oder ist es nur das ›glänzende Gedächtnis‹ Ihres Vaters? War er dabei? Los, reden Sie?«
Sie standen noch immer auf dem Parkplatz und brüllten sich an. Ein paar Ärzte in weißen Kitteln gingen in einigem Abstand vorbei und schauten sie verwundert an. Nicoletta kümmerte dies nicht weiter.
»Lesen Sie’s nach. Gehen Sie in die Archive, aber die sind ja zu. Vielleicht läßt man ja einen Polizisten ran. Oder lesen Sie die alten Ausgaben des ›Piccolo‹, wenn Sie lesen können.«
»Ihre Mutter hat Gubian auf der Straße als Mörder bezeichnet …«
»Recht hatte sie …«
»… glauben Sie allen Ernstes, daß dieser alte Mann Ihren Vater umgebracht hat? Alleine, oben an der Foiba von Monrupino? Wie soll er das gemacht haben? Außerdem ist der Mann in Trauer! Warum also?«
»Natürlich war er es!«
»Und weshalb?«
»Weil … weil er wohl glaubte, daß mein Vater seine Familie in die Luft gejagt hat, weshalb sonst?«
»Und war er es?«
»Nein! Ganz bestimmt nicht. Aber er hätte es tun sollen. Schon viel früher!«
Nicoletta stapfte wieder los, auf den nächsten Eingang zu.
»Und Sie?« fragte Laurenti plötzlich. »Waren Sie es?«
Sie stockte, drehte sich um und haute ihm eine runter, daß er Sterne sah. »Das ist meine Antwort, Commissario!«
Laurenti wurde ganz ruhig. Er hatte nicht mit diesem Schlag gerechnet. Seine Wange brannte, aber er sah ganz klar. »Sehen Sie sich vor, Signora Marasi, sonst drehe ich Ihnen schneller als Sie denken können den Hals um! Und jetzt kommen Sie!«
Er führte Nicoletta schweigend durch die Flure, hinab in die Verließe des alten Doktor. Der erwartete sie in der Tür, einen langen weißen Kittel über seinem grauen Anzug.
»Na, Laurenti, schon gefrühstückt?« fragte er.
»Lassen Sie das, Doktor«, antwortete Laurenti aggressiv. »Das ist Frau Marasi. Sie muß ihren Vater identifizieren.«
»Dann wohl eher Schnaps. Kommen Sie bitte mit, Signora.« Galvano ging voraus durch einen gekachelten Flur und stieß mit dem Fuß die Tür zu den Kühlkammern auf. »Hat sie dir eine gescheuert?« fragte er Laurenti, als er dessen stark gerötete Wange sah.
»Ja!«
Galvano lachte sein meckerndes Lachen. Dann wandte er sich an Nicoletta. »Er sieht gar nicht so schlimm aus«, plapperte Galvano weiter, während er Marasis Bahre ein Stück weit aus dem Fach zog. »Sie sollten mal sehen, was wir sonst so rein kriegen …«
»Ist das Ihr Vater?« fragte Laurenti.
»Ja.« Nicoletta nickte. Laurenti sah, daß ihr das Blut aus dem Gesicht gewichen war, aber das war normal. Nicoletta hatte starke Nerven, das wußte er inzwischen. Sie ertrug den Anblick gefaßt. Dann sah sie, wie Galvano ihren Vater wieder in das Kühlfach zurückschob. Als die Tür sich schloß, taumelte sie.
Laurenti versuchte sie aufzufangen, doch Nicoletta fiel wie ein Fels. Er verlor das Gleichgewicht und kam unter ihr zu liegen. Sie roch gar nicht nach Fisch, dafür war sie viel schwerer, als man es ohnehin schon vermutete. Flehend schaute Laurenti den Doktor an, der meckernd Nicoletta an der Schulter zur Seite drehte.
»Laurenti, Laurenti«, sagte der Arzt. »Jetzt versteh ich deine Frau!«
Proteo löste sich aus der unfreiwilligen Umarmung und sprang gerade rechtzeitig auf, als Nicoletta wieder zu sich kam. Sie blickte verstört um sich und ließ sich von Galvano helfen. Sie machte ein Gesicht, als würde sie sich diese Schwäche nicht verzeihen können.
»Es geht schon wieder«, sagte sie, drehte
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