Die Toten Vom Karst
Nächten in internationalen Gewässern von Gubian übernommen hatten. Das würde nicht nur ihn, sondern auch Nicoletta in erhebliche Schwierigkeiten bringen.
Um so mehr war Luca darüber aufgebracht, daß es Mario auf einmal so gleichgültig war, wo Marasi blieb. Klar, er roch es schon an seinem Atem und sah es an seinen Augen, Mario hatte getrunken, und Luca wußte auch, daß ein angetrunkener Mario immer still war und kaum mehr das Nötigste über die Lippen brachte. Doch Luca hatte den ganzen Tag versucht, ein Schriftstück aufzusetzen, das sie Ugo an diesem Abend unterschreiben lassen wollten. Ein Vorvertrag, mit dem er seinen Anteil deutlich unter Wert an sie abtrat. Luca hatte mit der Bank verhandelt und vom Filialleiter die Zusage für den nötigen Kredit erhalten, wenn sie den Kutter beliehen und gut versicherten. Ohne Marasi würden sie auch rasch zwei, drei junge Fischer finden, die sie anstellen könnten. Aber der Kutter mußte ihm und Mario gehören. Das konnten sie erreichen an diesem Abend, und verdammt nochmal, dafür hätte Mario wenigstens pünktlich und nüchtern erscheinen können.
Am Mittwoch waren sie beim zweiten Verhör durch die Capitaneria wieder bei der alten, einsilbigen und wortkargen Version geblieben. Sie deckten Ugo weiter und reagierten nicht einmal auf die Fragen, wo er stecke. Keine Ahnung. Genauso unbeeindruckt blieben sie auch gegenüber den Einschüchterungsversuchen des Offiziers, der mit ihrer Verschwiegenheit nicht zurechtkam und sich vergeblich die Zähne an ihnen ausbiß. Sie würden nur reden, wenn Marasi nicht mitspielte.
Luca hatte den ganzen Mittwoch gewartet, doch heute mußte er Nicoletta aufsuchen. Er mochte sie nicht, und auch sie hatte nie einen Hehl aus ihrer Abneigung und dem Mißtrauen ihm gegenüber gemacht. Er war unabhängiger als die anderen und widersprach ihrem Vater häufig. Nicoletta sagte oft zu Ugo, er solle sich von Luca trennen, man könne ihm nicht wirklich vertrauen. Luca hingegen sah meist einfach über Nicoletta hinweg.
Er verabschiedete sich von seiner Frau, die wie jeden Morgen damit begonnen hatte, die Wohnung zu putzen. Er sagte, er käme zum Mittagessen zurück. Dann nahm er den Bus, setzte sich ans Fenster und blickte ins Grau über der Stadt. In der Via Carducci stieg er aus, steuerte zuerst den alten Kaffeeladen »La Colombiana« an und trank einen Macchiato am langen, silbern glänzenden Tresen. Dann ging er schnellen Schrittes die wenigen Straßen weiter in die Via XXX Ottobre. Es war kurz vor halb neun, als er den Fischladen betrat. Nicoletta im dicken marineblauen Pullover, den sie bei fast jeder Witterung trug, wachte darüber, wie ihre Angestellten die Fische auf das Eis der Verkaufstheke legten, und änderte noch schnell auf der Kreidetafel den Preis für die Rombi. Die Fische waren besonders schön, heute ließen sich dafür ein paar Lire mehr erzielen. Sie blickte erstaunt auf, als sie Luca erkannte.
»Ciao, Nicoletta!«
»Salve!« sagte sie knapp mit ihrer tiefen, knurrenden Männerstimme.
»Ich muß mit dir sprechen!«
»Warte!« Nicoletta gab im selben Tonfall ein paar barsche Anweisungen an den Mann hinter der Auslage. Rasch nahm er einige Fische und sortierte sie um. »Ich hab dir schon oft gesagt, daß du die großen Branzini nicht verstecken sollst! Wo, wenn nicht hier, kriegt man das Zeug in dieser Qualität?«
Luca blieb in gehörigem Abstand stehen und wartete, die Hände tief in den Taschen vergraben.
»Komm mit!« sagte Nicoletta schließlich. Sie gingen nach hinten, aber nicht in ihr Büro, sondern blieben im Innenhof stehen. »Was gibts?«
»Wo ist Ugo?«
Nicoletta schaute ihn mißtrauisch an. »Weshalb?«
»Wir waren Dienstag abend verabredet. Er kam nicht. Gestern auch nicht. Auch nicht zum Verhör. Wir müssen reden wegen dem Kutter.«
»Darüber kannst du mit mir reden.«
»Nein, nur mit Ugo.«
»Es bleibt dir nichts anderes übrig. Papà ist tot.«
Luca verschlug es die Sprache. Er wurde blaß.
»Was hast du gesagt?«
»Ich biete dir und Mario 150 Millionen für euren Anteil. Zusammen!« In Nicolettas Gesicht regte sich kein einziger Muskel.
»Was heißt das: Ugo ist tot?« Vor Staunen entging Luca, daß ihr Angebot nur die Hälfte des realen Wertes ausmachte.
»Was ich gesagt habe. Ich übernehme den Kutter. Ihr könnt es euch bis nächste Woche überlegen. Keine Lira mehr!«
»Nicoletta«, flehte Luca, »was ist passiert?« Er schien wie erstarrt vor Schrecken und war weit davon
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