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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Holz, Ihr Vater?«
    »Das würde ich nicht sagen. Er hatte ein gutes Herz, er war aufrichtig und klar. Natürlich war er verschlossen, aber das wundert nicht. Man hat ihm damals alles weggenommen in Istrien. Das hat er nie verwunden. Das war eine Demütigung. Die Familie war wohlhabend, und nachher, als sie rauskamen, hatten sie nur das, was sie auf dem Leib trugen und ein bißchen Hausrat.«
    Was ging bloß in ihr vor? Auf einmal kam diese wortkarge Person in Fahrt und erzählte, ohne Luft zu holen.
    »Und als sie über die Grenze kamen«, fuhr Nicoletta fort, »wurden sie wieder betrogen. Italien wollte sie nicht, man sagte, das würde das Verhältnis zum befreundeten Jugoslawien belasten, wenn man sie anerkenne. Keine Entschädigung, nichts. Und alle hielten die Istrier für Faschisten, nur weil sie von dort kamen, wo die Kommunisten sie loswerden wollten. Sie mußten alle wieder von vorne anfangen. Das schreit doch vor Unrecht. So schlecht war der Faschismus nun auch nicht und außerdem zahlt Italien heute noch Renten an kommunistische Kriegsverbrecher! Und da reden die davon, man solle die Vergangenheit ruhen lassen und einen Neuanfang machen in einem vereinten Europa. Daß ich nicht lache.«
    Laurenti fuhr langsam ums Ospedale Maggiore herum, tat, als suche er einen Parkplatz, dabei würde er später ganz einfach in den Hof fahren und den Wagen dort abstellen. Aber er wollte Nicoletta nicht unterbrechen.
    »All diese feinen Regierungen, die wir hatten, sind doch nicht besser als diese Drecksslawen. Verstehen Sie: wir wollen das zurück, was uns gehört! Istrien ist italienisch! Die Familie meines Vaters hatte Land und Vieh und Weizen und Wein. Sein älterer Bruder gehörte zu den 250000 italienischen Soldaten, die den Deutschen gegen die Russen helfen sollten. Diese hilflose Truppe, mit der Mussolini diesem Hitler in den Arsch kriechen wollte. Er ist nie zurückgekehrt. Und seine Schwester haben sie umgebracht …« Jetzt verstummte sie und biß sich auf die Lippen.
    Laurenti mußte in die Einfahrt des Krankenhauses einbiegen.
    »Das wußte ich nicht«, sagte er.
    »Woher auch«, antwortete Nicoletta. »Sie kommen vermutlich aus dem Süden. Da hat man sich nie um uns gekümmert. Verstehen Sie jetzt endlich, daß man da nicht mehr an Dinge wie Glück oder Liebe glauben kann?«
    »Wann wurden Sie geboren?«
    »1966, warum?«
    »Sie sind doch viel zu jung. Sie haben das nicht mitgemacht.«
    »Was wissen Sie schon! Das Alter spielt dabei keine Rolle. Die Familie zählt und die Heimat.« Sie riß die Autotür auf und stieg aus. Die Tür flog hinter ihr ins Schloß, daß der Wagen bebte.
     
    Laurenti war perplex. Es war das erste Mal, daß er solchen Sprüchen direkt ausgesetzt war. Natürlich wußte er, daß es diese Polemik gab. Manchmal kursierten Flugblätter oder Leserbriefe von einigen Unverbesserlichen, oder es gab die Sprüche der Faschisten und in der Zeitung die Berichte von den Jahrestreffen der »Istriani«, auf denen sie noch immer der verlorenen Heimat nachweinten. Aber auf diesen Ausbruch fiel ihm nichts mehr ein. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit dazu, einen Einwand zu erheben, denn Nicoletta legte ein Sperrfeuer nach.
    »Und dann will ich Ihnen noch etwas sagen: Sie haben Gubian laufen lassen! Meine Mutter hatte recht. Er ist ein Mörder.«
    »So einfach geht das nicht,« antwortete Laurenti, doch sie ließ sich nicht unterbrechen.
    »Und ob! Aber die Behörden kümmern sich, wie man sieht, noch immer nicht um die Wahrheit.«
    »Es gibt keine Beweise, daß es Gubian war, der Ihren Vater umgebracht hat, nicht einmal ein Indiz! Der Mann hat alles verloren, seine Familie beerdigt …«
    Nicoletta baute sich vor ihm auf und stützte ihre Arme wie ein Schläger in die Hüften. Sie stand ganz dicht vor ihm und hatte einen Blick wie aus dem Eis, auf dem die Fische in ihrem Laden zum Verkauf lagen.
    »Sie sollten zuhören, wenn man etwas sagt! Er hat nicht nur meinen Vater umgebracht, nein, vor siebenundvierzig Jahren auch dessen Schwester!«
    Sie drehte sich um und stapfte los.
    »Wer sagt das?« brüllte Laurenti.
    »Ich! Und mein Vater hat es auch immer gesagt! Aber die Behörden hat das einen feuchten Dreck interessiert! Bis heute!«
    »Warum haben Sie ihn nicht angezeigt?«
    »Jetzt hören Sie mal genau zu, Sie dreck …« Nicoletta verschluckte den Rest. Sie stand schon wieder wie ein Ringer vor ihm. »Gubian war Kommunist. Wissen Sie was damals passiert ist? Woher auch, Sie sind ja ein Ignorant

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