Die Toten Vom Karst
in Contovello?«
»Wir schließen auch das nicht aus, doch bisher gibt es keinen konkreten Hinweis.«
Dann ging das Licht aus, Laurenti warf den Filter der Zigarette in den Papierkorb und wartete, bis die drei Männer aus der Tür waren.
»Das nächste Mal solltest du nicht rauchen, Proteo! Das macht einen schlechten Eindruck. Willst du mit dem Mist wirklich wieder anfangen?« Marietta legte ihm Papiere auf den Tisch und klopfte die Asche von seinem Ärmel. Noch eine Frau, die sich um ihn kümmerte, und wieder nicht die eigene.
Laurenti ließ es geschehen. »Ich rauche nicht. Was hast du da?«
»Die Personalien der Besatzung und der Angehörigen.«
»Und, was besonderes?«
»Alle vier aus der Besatzung des Kutters kommen aus Istrien. Esuli …«
»Ach?« Esuli wurden die aus Istrien geflohenen Italiener genannt. »Das ist doch schon was. Galvano hat vielleicht doch recht damit, daß da eine alte Geschichte dahinter steckt. Ich geh runter zum Hafen. Mal sehen, ob von Marasis Kollegen etwas zu erfahren ist. Weißt du zufällig, wo ich meinen Wagen habe?«
»Ich? Keine Ahnung.«
»Irgendwo wird er schon sein. Wenn nicht hier, dann zu Hause. Den Schlüssel hab ich immerhin … Übrigens, Marietta, ich möchte, daß die Tochter ab sofort überwacht wird. Stell einen Mann in Zivil vor den Laden, man darf sie nicht aus den Augen lassen. Bereite bitte auch einen Antrag auf Überwachung ihres Telefons für den Untersuchungsrichter vor.«
»Und weshalb? Welche Begründung schreibe ich da rein?«
»Sie hat gedroht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, was soviel bedeutet, daß sie vor hat, Gubian umzubringen. Genau so, wie dieser am Montag noch gedroht hat, selbst tätig zu werden, wenn wir nicht weiter kommen. Eine Welt voller Irrer! Nicoletta wird es wohl kaum selbst tun. Also, schreib was rein, was sich vernünftig anhört, und laß es absegnen. Heute noch, hörst du?«
Marietta verdrehte die Augen, als Laurenti ohne Pause weiterredete.
»Finde jemanden, der uns diese Sache in Istrien erzählen kann. Cittanova, Gubian und den ganzen Mist! Wäre gut, wenn es schnell ginge.«
»Ja, ja, mach ich!« maulte Marietta. »Sag mal, wer ist eigentlich diese Kroatin, von der alle ununterbrochen reden? Das muß ja ein ganz besonders scharfes Wesen sein! Gran figa?«
»Grandissima figa, Marietta, grandissima! Sympathisch und sehr kompetent. Übrigens, such sie bitte. Die kann uns in diesem Moment wirklich weiterhelfen. Sie wollte sich zwar selbst melden, aber sicher ist sicher. Ruf bitte die Kollegen durch und such sie für mich.«
»Und was soll ich sagen? Laurenti sucht die grandissima figa?« fragte Marietta schnippisch.
»Nein, es geht immer noch um den alten Gubian. Einerseits wegen der Drohung und dann … Vielleicht ist ja doch was an dem Verdacht, den diese verstörte Bruna Saglietti hatte. Noch was: ich will den ganzen Schriftkram der Familie Gubian hier haben. Die Beano von der Spurensicherung soll ihn herschaffen lassen. Und zwar heute noch. Sag bitte Sgubin, er soll sich darüber hermachen. Ich bin um sechzehn Uhr zurück.«
In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Marietta, schick eine Streife mit einer Vorladung zu Marasis Tochter. Ich will sie als erstes sehen, wenn ich zurückkomme.« Er schaute auf die Uhr. »Fünfzehn Uhr!«
Marietta seufzte. Wochenlang geht alles seinen gemächlichen Gang, aber dann plötzlich bricht ungewohnte Hektik aus. Selbst die Sache in Contovello waren sie bisher unaufgeregt angegangen. Aber wenn Laurenti einmal in Fahrt gekommen war, dann wollte er alles auf einmal. Ihr Mittagessen mit den Kolleginnen konnte sie heute vergessen.
*
Der Scirocco hatte an Stärke gewonnen und fegte warm über die Stadt. Am 23. November zeigte das Thermometer einundzwanzig Grad. Ununterbrochen grollte der Donner wie ein nicht lokalisierbares Dauerbombardement in nicht allzu großer Ferne. Es würde bald Regen geben.
Als Proteo Laurenti, nach seinem Wagen suchend, die Via del Coroneo vor seinem Büro entlangging, fiel ihm ein, daß er ihn bei Galvano auf dem Parkplatz des Ospedale Maggiore vergessen hatte. Er hatte ein seltsames Verhältnis zu seinem Wagen. Wenn er ihn brauchte, war er nicht da, wenn er ihn nicht brauchte, stand er ganz gewiß irgendwo im Halteverbot oder einer Einfahrt, von wo er ihn wegfahren mußte, weil bereits jemand wütend hupte – und dann erinnerte er sich meist nicht daran, wo er den Schlüssel gelassen hatte.
Er kam an der Synagoge vorbei, die seit der
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