Die Toten Vom Karst
Winckelmann wieder hinab, drängte sich zwischen zwei Taxen am Standplatz durch und stand vor dem Lokal. An den grünen Tischen in dem fünf Stufen tiefer liegenden Saal spielten die Leute von früh bis spät Karten, Zigarettenrauch schwebte in Schwaden unter den Neonlampen und stieg langsam den Aufgang zum Schankraum mit dem Tresen hinauf, an dessen Ende eine verspiegelte Wand aus den fünfziger Jahren den Raum optisch verdoppelte. In drei Meter Höhe flimmerten auf einem riesigen Fernsehschirm Werbespots für Waschmittel, Windeln, Hundefutter und Getränke. Mario saß an einem der kleinen Tische an der Wand, hatte eine Karaffe Rotwein vor sich, das Glas in der Hand und glotzte dumpf vor sich hin.
»Mario«, sagte Luca. »Marasi ist tot. Ich war bei …«
»Ich weiß«, brummte er bräsig.
»Warst du auch bei ihr?«
»Nein, es stand in der Zeitung.«
»Was stand da?«
»Daß Marasi tot ist. Man hat ihn umgebracht. Oben an der Foiba.«
Luca ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen. »Umgebracht? Wo?«
Mario schob ihm wortlos den »Piccolo« hinüber und trank sein Glas in einem Zug leer. Er gab dem Kellner ein Zeichen.
»Bring noch eine Karaffe«, knurrte Mario, während er einschenkte.
Das Foto Marasis war in einem Kasten auf der Titelseite, darunter ein paar Zeilen und der Verweis auf den Innenteil. Luca schlug hastig auf und las schweigend den Bericht.
»Jetzt auch Marasi …«, sagte er leise und bekreuzigte sich.
»Jetzt auch Marasi«, brummte Mario.
»Deswegen ist er nicht gekommen.«
»Ja.«
»Wer war das?«
Mario hob die Augenbrauen und atmete tief durch. »Er hatte genug Feinde.«
Es war zwölf Uhr. Das Fernsehen brachte den Nachrichtenüberblick. Nach den Streiflichtern über die Politik, kam die Meldung, daß noch immer ergebnislos nach einem Motiv für die Ermordung des toten Fischers gesucht wurde und die Polizei immer noch im Dunkeln tappte. Es folgte ein kurzes Statement des Leiters der Kriminalpolizei von Triest, der die üblichen Floskeln verbreitete, wenn man nichts zu sagen hat oder nichts sagen will.
»Den kenn ich«, sagte Luca, aber Mario ging nicht weiter darauf ein. Dann kam der Wetterbericht.
»Eine Harpune?« fragte Luca.
»Haben sie gesagt.«
»Meinst du, daß das Eliana war oder die Kinder?«
»Warum?«
»Wegen Giuliano?«
»Warum nicht. Jetzt ist er weg. Ich erinnere mich noch an den ersten Tag auf dem ersten Kutter.« Mario trank leer.
»Ich war bei Nicoletta. Sie will den Kutter.«
»Soll sie doch.«
»Was?«
»Sie kann ihn haben, von mir aus.«
»Aber gestern haben wir noch Pläne gemacht, wie wir ihn übernehmen könnten. Was sagst du da, Mario?«
»Da liegt ein Fluch drauf. Ich habe mit Salvatore gesprochen. Ich fahre ab nächster Woche mit ihm. Du kannst auch mit. Die Arbeit ist leichter und er sucht Leute.« Salvatore war ein Kollege mit einem kleineren Schiff im Villaggio dei Pescatori bei Duino. Er war auf den Fang im Golf spezialisiert.
»Du willst verkaufen?« fragte Luca erstaunt.
»Wenn sie bezahlt, warum nicht. Wir sind alt. Ein Kapitel ist geschlossen.«
»Nicoletta faselte von einhundertfünfzig Millionen für uns beide. Sie will die Entscheidung bis Montag.«
Mario erwachte schlagartig aus seiner Lethargie und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, daß sein Glas umfiel. Der Rotwein lief über die Tischdecke aus Wachstuch. Mario stellte sein Glas wieder auf und wischte den Wein mit dem Handrücken vom Tuch. Dann schenkte er sich nach. »Puttana di merda! Troia maledetta! Die wird sich wundern!«
»Hör auf zu trinken, Mario! Um vierzehn Uhr ist das nächste Verhör.«
»Na und?«
»Wir müssen überlegen, wie wir vorgehen.«
»Was gibt es da schon zu überlegen? Es bleibt alles beim alten. Kein Wort an die Capitaneria. Dann haben wir Nicoletta in der Hand. Wenn sie nicht bezahlt, was wir wollen, reden wir. Dann hat sie ein Problem. Es ist alles ganz einfach.«
Luca war einverstanden. »Morgen ist die Trauerfeier für Giuliano.«
»Ja.«
»Gehen wir hin? Ich meine wegen Eliana.«
»Sie kann es uns nicht verbieten. Wir gehen wegen Giuliano, nicht wegen ihr.«
»Was meinst du, wer hat Marasi umgebracht?«
Mario zuckte die Achseln und hob sein Glas. »Auf Marasi«, sagte er und kippte den Rotwein in einem Zug hinunter.
*
Proteo Laurenti war zehn Minuten vor elf Uhr wieder im Präsidium und trug eine Cognac-Fahne vor sich her. Marietta öffnete ihre Handtasche und legte ihm wortlos ein Pfefferminzbonbon auf den Tisch. Er
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