Die Toten Vom Karst
wen?«
»Alle! Wir sind alle Feinde!«
Der Regen verdichtete sich. Laurenti schlug den Kragen des Jacketts hoch und verfluchte den Himmel.
»Alle?«
»Wir fischen alle im gleichen Meer.«
»Ich meinte Feinde, nicht Konkurrenten!«
»Gino, die Mütze!« Sie segelte gleich darauf auf die Netze. Der Fischer hob sie auf. »Da gibt es keinen Unterschied.«
»Können Sie sich vorstellen, wer Grund hatte, Marasi zu töten?«
»Weiß ich nicht. Warum jemand von uns?«
»Wegen der Harpune!«
»Wir haben keine Harpunen. Wir fischen mit Netzen. Fragen Sie die Taucher. Taucher haben Harpunen.«
Es begann zu schütten. Der Fischer erhob sich und ging zu seinem Kutter.
»Sonst noch was?«
Laurenti schüttelte den Kopf. Grußlos ging er so schnell er konnte zur Pescheria zurück. Als er die Wagentür öffnete, krachte der erste Donner und es schüttete aus allen Rohren. Laurenti suchte im Handschuhfach nach Papiertaschentüchern, mit denen er sich das Gesicht trocknen konnte, fand aber nur eine einzige vertrocknete Camel, von der er nicht wußte, wie sie dahin gekommen war. Er steckte sie in den Mund. Der Tabak bröselte heraus, als er sie ansteckte. Er startete den Wagen und fuhr langsam die Rive entlang bis zur Capitaneria.
Er mußte warten. Ettore Orlando, sein Jugendfreund aus Salerno und Capitano der Guardia Costiera, befand sich in einer Besprechung, die, wie man Laurenti sagte, bald zu Ende sein müßte. Auch Orlando war vor einigen Jahren in Triest gelandet, allerdings viel später als Proteo Laurenti. Für beide war es ein glücklicher Zufall, denn trotz der langen unterschiedlichen Berufsentwicklungen, hatte sich an ihrer Freundschaft nichts geändert. Das kam ihnen auch bei der Arbeit zugute. Sonst war der Umgang der Behörden untereinander nicht unbedingt freundschaftlich.
Laurenti setzte sich in Orlandos Büro auf dessen großen, weichen Schreibtischsessel, in dem er beinahe versank. Er genoß zuerst den Blick auf den Hafen und die Männer der Küstenwache am Kai, die gerade zwei ihrer großen Boote losmachten und begleitet vom rülpsenden Geblubber der Maschinen ablegten. Langsam fuhren sie aus der Hafenzone, wo sie hinter der Diga Vecchia, dem Deich, der die Hafenanlage zum Meer abschirmte, beschleunigten und bald nur noch als Punkt am Horizont zu erkennen waren. Laurenti legte die Füße auf Orlandos Schreibtisch und stöberte gelangweilt in den Schubladen. Er fand nichts, was ihn interessierte. Also griff er nach Orlandos Telefon und meldete sich bei Marietta. Er erfuhr, daß sie Živa Ravno schon erreicht hatte und sie am späten Nachmittag zu ihm ins Büro käme. Das war eine gute Nachricht! Laurenti freute sich. Er wählte die Nummer der »Trattoria al Faro«.
»Ciao, Franco! Bist du wieder gesund?«
»Ah, die Polizei! Gesund, weshalb?«
»Na, vorgestern war nur deine Mutter im Laden und sagte, daß man dich gerade noch vor der Notschlachtung bewahren konnte. Rossana hat dich wohl überfordert?«
»Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst!«
»Franco, tu nicht so. Du hast mir Montag nacht meinen Flirt ausgespannt. Aber ich bin nicht kleinlich. Hast du für heute abend noch einen Tisch?«
»Für wie viele?«
»Für zwei.«
»Mit wem kommst du?«
»Wirst du schon sehen.«
»Mit Rossana?«
»Nein, die überlasse ich in dieser Woche dir.«
»Ist deine Frau zurück? Du hörst dich so fröhlich an.«
»Nein. Jemand anders. Und ich komme nur, wenn Rossana nicht da ist.«
»Wieso Rossana?«
»Es könnte ja sein, daß sie jetzt öfters zu dir kommt, nach eurer heißen Nacht.«
»Bist du eifersüchtig?«
»Hab ich Grund?« Laurenti nahm die Füße vom Schreibtisch. Er hörte Orlando im Vorzimmer.
»Nein, nein! Bis heute abend.«
Laurenti legte auf, als sich die Tür öffnete und die uniformierte vollbärtige Zweimeter-Masse seines Freundes das Büro betrat.
»Guter Stuhl, nicht wahr?« sagte Orlando zur Begrüßung. »Ein bißchen zu groß für dich.«
»Aber bequem. Haben sie ihn extra für dich anfertigen lassen?«
»Von wegen. Ich hab ihn von meinem eigenen, bescheidenen Gehalt gekauft. Du weißt doch, der Staat empfindet es schon als Gnade, daß man für ihn arbeiten darf. Mehr kann man nicht erwarten. Ein neuer Schreibtischstuhl außerhalb der Standardmaße, in die ich nicht einmal eine halbe Arschbacke quetschen kann, würde einen unendlichen Papierkrieg erzeugen, wahrscheinlich hoch bis ins Verteidigungsministerium, und am Ende müßte ich vermutlich noch ein amtsärztliches
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