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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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ihm mit frisch aufgelegtem Lippenstift zum Abschied einen unübersehbaren Kuß auf die Wange drückte.
    Živa Ravno lachte. »Das hat sie bestimmt mit Absicht gemacht.«
    »Was?«
    Živa Ravno zog ein Taschentuch aus der Handtasche und wischte ihm über die Wange.
    Proteo schrak auf. »Ist es schlimm?«
    »Aber warum denn schlimm? Es geht gleich weg.«
    »Na warte, Rossana«, fluchte er still. »Ich krieg dich noch!«
    Der Klavierspieler, der den ganzen Abend das Café mit dem üblichen Repertoire an Barmusik berieselte, von »As time goes by« bis »Mrs. Robinson« und Wiener Walzer, hatte endlich aufgegeben. Die meisten Gäste waren gegangen, und die Kellner fingen im hinteren Teil des Lokals bereits damit an, die Stühle hochzustellen. Es war Zeit zu gehen.
    »Ich bringe Sie zum Hotel«, sagte Laurenti.
    »Das ist nicht nötig!« sagte Živa Ravno.
    »Aber es sind nur ein paar Schritte. Schlagen Sie mir den Wunsch nicht ab.«
    Sie hakte sich bei ihm ein. Sie sprachen nicht mehr viel, als sie am Canal Grande entlanggingen, an dem die kleinen Fischerboote vertäut lagen und sich das Licht der Straßenlaternen im ruhigen Wasser spiegelte.
    Vor dem »Colombia« küßte Živa Ravno ihn auf die Wangen. »Ich bin froh, in Triest jemanden wie Sie zu kennen, Commissario!« sagte sie.
    War es ein Scherz, daß sie ihn mit seinem Titel ansprach, ein Zeichen für Distanz oder ein Angebot? Er wußte es nicht »Sie sagten, Sie blieben bis Sonntag? Wollen wir nicht morgen abend essen gehen, oder sind Sie schon verabredet? Ich würde Ihnen gerne das Restaurant eines engen Freundes zeigen.«
    »Ich rufe Sie morgen an, Proteo!«
    Es war das erste Mal, daß sie ihn beim Vornamen nannte. Laurenti schritt zum ersten Mal seit Tagen wieder fröhlich gestimmt durch die milde Nachtluft. Es war der 22. November und die wenigen Leute, die ihm auf dem Heimweg entgegen kamen, schauten ihn verwundert an.
     
    *
    Luca Vidulini war bis ins Mark erschüttert, als er Nicolettas Fischladen verließ. Marasi tot? Er konnte es nicht glauben, er mußte zu Mario. Luca überlegte, ob er den Bus nehmen sollte, doch zu Fuß wäre er genauso schnell, und aufgewühlt wie er war, hätte er kaum ruhig an einer Haltestelle warten können. Rasch durchquerte er das Stadtzentrum bis zum Corso Italia und stieg mit gleichmäßigem Schritt die steile, nicht enden wollende Scala dei Giganti Richtung San Giusto hinauf. Er sah nur Marasis Gesicht vor sich, Bilder aus all den Jahren, die sie zusammengearbeitet hatten. Und zuletzt die Auseinandersetzung in der Bar. Nicoletta hatte ihm nicht gesagt, wie Marasi gestorben war. Er hatte keine Möglichkeit, sie danach zu fragen, nachdem dieser Polizist aufgetaucht war. Aber sie hätte es auch so kaum gesagt. Sie wollte den Kutter. Einhundertfünfzig Millionen für die beiden Anteile zusammen, bis Montag, hatte sie ultimativ gesagt. Glaubte sie wirklich, ihn und Mario über den Tisch ziehen zu können? Marasi war in den vergangenen Jahren immer sturer und stiller geworden, hatte ohne zu diskutieren diktiert, was zu tun war. Wären da nicht über dreißig Jahre Vergangenheit, die sie teilten, und außerdem die Anteile am Kutter, alle hätten Marasi längst den Rücken gekehrt. Aber sie waren alt, und Nicoletta noch nicht einmal fünfunddreißig. Sie war jetzt schon schlimmer als ihr Vater, doch täuschte sie sich, wenn sie annahm, Mario und ihn so einfach ausbooten zu können. Sie mußten einen Plan machen, Eliana rasch Giulianos Anteil abkaufen, damit sie die Mehrheit behielten. Dann konnte Nicoletta fordern, was sie wollte.
    Luca war die Via Capitolina hinter dem Colle di San Giusto entlanggegangen. Die Stadt lag ihm zu Füßen, doch er sah sie nicht. Er stand am Fuße der Scala Winckelmann und stieg noch ein paar Treppen empor. Dann klingelte er und wartete. Nach dem fünften Klingeln wurde im dritten Stock ein Fenster geöffnet und eine Frau begann zeternd und im breitesten Dialekt zu schimpfen. Es dauerte, bis Luca begriff, daß er gemeint war. Er schaute nach oben.
    »Und wenn Sie noch so lange klingeln, der macht nicht auf! Hauen Sie ab, sie stören das ganze Haus!«
    »Ist Mario nicht zu Hause?«
    »Cazzo, hat er etwa geöffnet?«
    »Wissen Sie wo er ist?«
    »Wahrscheinlich ist er saufen gegangen. Wie immer! Probieren Sie’s in der ›Bar Italia‹, aber hören Sie auf zu klingeln wie ein Irrer.«
    »Bar Italia?«
    »Piazza Vico, wo sonst!«
    Das Fenster wurde mit lautem Klappern geschlossen. Luca stieg die Scala

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