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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Ankündigung des Faschistentreffens ununterbrochen von einer Polizeistreife bewacht wurde. Er spürte ein flaues Gefühl im Magen. Der rettende Cognac bei Galvano, die Zigaretten und nichts im Bauch, kein Wunder. Er beschloß, für ein paar Minuten ins »Caffè San Marco« zu gehen, um eine Kleinigkeit zu essen. An normalen Tagen saß er fast jeden Mittag in diesem prachtvollen Raum, der ein besonderer Zeuge Triestiner Geschichte war. Laurenti erinnerte sich, daß er erst vor kurzem erfahren hatte, daß das San Marco einst, als es kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs eröffnet wurde, Treffpunkt der Irredentisten war. Die Anhänger Italiens fanden dort in Hinterzimmern die unter den Habsburgern verbotene italienische Presse und besprachen ihre hochfliegenden Pläne. Und vermutlich jeder für sich saßen auch die Triestiner Intellektuellen drin, darunter Svevo, Slataper und Saba. Für James Joyce war es bereits zu spät. Am 22. Mai 1915 eskalierte die Situation. In Italien erfolgte die Mobilmachung und die Habsburger verordneten, daß die Grenzen geschlossen wurden. Wenige Stunden später zogen pro-österreichische Horden durch die Stadt, legten Feuer im Gebäude des »Piccolo« und verwüsteten das erst viereinhalb Monate alte »San Marco«. Joyce floh in die Schweiz und kam erst nach dem Krieg zurück, sein Bruder Stanislaus wurde in einem österreichischen Lager interniert. Im »San Marco« waren damals auch gefälschte Pässe zu haben, mit denen wehrpflichtige Männer versuchten, sich dem österreichischen Stellungsbefehl zu entziehen.
    Laurenti bestellte einen Toast und eine Coca-Cola. Der Kellner fragte lächelnd, ob es ihm wieder besser gehe. Laurenti wunderte sich, daß der Mann sich offensichtlich noch an den letzten Sonntag erinnerte, und winkte beruhigend ab. Er überflog die Titelseite des »Piccolo« und den Bericht über Marasi, blätterte dann rasch weiter bis zur Wettervorhersage und den Horoskopen, die er heute nicht lesen wollte. Widder und Zwilling, er und Laura, daran wollte er im Moment nicht denken. Der Lokalteil schien ganz ihm gewidmet. Drei Artikel, drei Fotos: das von Marasi klein eingeklinkt in eine belanglose Aufnahme von den Fischkuttern im Hafen, dann das Portrait des ermordeten Manlio Gubian mit der Bitte um Hinweise, wo dieser Mann in den letzten Monaten sonst noch gesehen wurde, sowie die Telefonnummern der Dienststelle in Opicina. Ganz wie von Laurenti in der Sitzung am Mittwoch nachmittag gewünscht. Marrone und seine Leute würden zu tun haben. Und als drittes sah er seinen Sohn und dessen Freunde mit dem chinesischen Personal von Polizeibeamten umringt, als sie aus dem »Tse Yang« abgeführt wurden. »Erneute Razzia gegen die Chinesen – Verdacht auf verbotenes Glücksspiel« lautete die Headline. Gott sei Dank war der Artikel darunter harmlos, es wurden keine Namen genannt, und auch Marco war nur zu erkennen, wenn man genau hinsah. Zwei Seiten später ein Bericht über die Neofaschisten. »Wir halten unverändert an dem Treffen der internationalen Faschisten in Triest fest«, erklärte der Sprecher von »Fascismo & Libertà«. »Im kommenden Januar wird die Versammlung wie geplant stattfinden. Wir lassen uns von der Linken und der Presse nicht kriminalisieren!«
    Warum zum Teufel sagte man ihm nicht, daß die Idioten ihre Pläne geändert hatten? Laurenti schimpfte leise vor sich hin.
     
    Eine halbe Stunde später stellte er den Fiat neben dem alten Fischmarkt am Molo Venezia ab. Die große Fischhalle sollte bald völlig ausgedient haben, wenn selbst die morgendlichen Verladungen und Versteigerungen in den neuen Hafen verlegt werden würden. Eine schöne Aufgabe für die Stadt, die Fischer vom Umzug zu überzeugen. Hier an der »Cattedrale del pesce« oder »Santa Maria del Guato«, wie der alte Fischmarkt im Volksmund wegen seiner Architektur und des zugehörigen Turms genannt wurde, hier war schon immer ihr Platz, und sie sahen keinen Grund, aus der Mitte des städtischen Lebens an dessen Rand zu ziehen. Nur um den Freizeitkapitänen mehr Platz zu machen? Nein, so konnte man mit den Fischern nicht umspringen. Und ihr Vorsitzender war schließlich ein hohes Tier der örtlichen Alleanza Nazionale.
    Der Himmel hatte sich inzwischen dramatisch verfinstert, das Gewitter trieb schnell und unter lautem Getöse aus Süden auf die Stadt zu. Die Gischt spritzte an die Mole, und nur wenige Menschen schlenderten die Anleger entlang. Laurenti ging den Molo Venezia hinaus, an dem die

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