Die Toten Vom Karst
Kutter lagen. Der Fischfang hatte ihn noch nie besonders interessiert, hier roch es immer nach stockigen Netzen und Fischabfällen. Und überall schlichen Horden arroganter, räudiger Katzen herum und taten so, als seien sie die wahren Eigentümer dieses Ortes. Er kannte wesentlich schönere Plätze, um am alten Hafen spazierenzugehen. Auf der Rückseite der Stazione Marittima zum Beispiel, wo die alten rostroten Landungsbrücken, die einst auf Geleisen an die Schiffe gefahren wurden, den nostalgischen Anschein einer einst besseren Zeit gaben, als täglich große Schiffe hier anlegten. Dort waren nie so viele Menschen wie auf dem Molo Audace und es roch besser als hier bei den Fischern.
Laurenti hatte bisher keine besonders guten Erfahrungen mit den Fischern gemacht, die in einer eigenen Welt zu leben schienen und, wie er fand, mit Verachtung und Mißtrauen auf die anderen herabschauten. Jedesmal wenn er in den letzten fünfundzwanzig Jahren mit ihnen zu tun hatte, war er über deren Maulfaulheit verärgert gewesen, während diese Männer scheinbar ruhig und schweigend vor ihm saßen. In Sachen Geduld waren sie sein genaues Gegenteil. Sie konnten warten. Allein schon dieses Wort stellte Proteo Laurenti die Nackenhaare auf. Er haßte es, wenn andere ihn warten ließen, und er haßte es, auf Dinge zu warten, die sich in seiner Vorstellung schon lange realisiert hatten. Warum warten? Es gab doch soviel Besseres zu tun!
Die wenigsten Fischer kamen aus alteingesessenen Triestiner Familien, der größte Teil stammte aus dem Süden, aus Immigrantenfamilien, die einst kamen, als die wirtschaftliche Lage dort katastrophal war und es für zu viele Leute zuwenig zu verdienen gab. Auswanderer aus Sizilien und Kampanien, einige von der Isola di Procida, der Insel im Nordwesten des Golfes von Neapel. Es war die erste Auswandererwelle. Viele gingen damals nach Argentinien oder nach Amerika, wie die Eltern des alten Galvano, andere versuchten ihr Glück in Norditalien oder reisten weiter nach Deutschland. Laurenti erkannte die Südländer auf den ersten Blick. Sie hatten die reiche Gestensprache ihrer Heimat beibehalten, die auch er in seiner Kindheit gelernt hatte, obwohl sie längst im breitesten Triestiner Dialekt und mit Verachtung von ihrer Arbeit sprachen. Es hieß, daß viele von ihnen die Nachfolgepartei der Faschisten wählten, doch angeblich vertrieben sie sich die Zeit mit jungen, ausländischen Geliebten, und auf den Kuttern sollte in großen Mengen Marihuana geraucht werden.
Laurenti ging an den Kuttern entlang und hatte noch keinen einzigen Fischer gesehen. Nahe des Vereinshauses des Yachtclubs »San Giusto« auf der gegenüberliegenden Seite der Mole sah er schwarze Tücher, die über Steuerhaus und Bordwand eines größeren Schiffs gespannt waren. »San Francesco« las er am Bug. Und darüber hing ein weißes Transparent: »In memoria di Giuliano Scropetti« und ein zweites, kleineres mit der Aufschrift: »Ugo Marasi« und einem schwarzen Kreuz. Hatten diese Leute also doch so etwas wie eine Seele?
Hinter einem aufgetürmten Haufen von Netzen sah er schließlich zwei Männer sitzen, die ihn mißtrauisch aus den Augenwinkeln beobachteten. Sie zogen langsam mit ausholenden Bewegungen das Netz durch die Hände und knüpften rasch mit geübten Bewegungen und kurzem Garn schadhafte Stellen zusammen.
»Buongiorno«, Laurenti stand einen Meter von ihnen entfernt.
Der Ältere schaute kurz zu ihm auf und grunzte unverständlich. Der andere arbeitete unbeeindruckt weiter und schwieg.
»Ist das der Kutter von Marasi?«
»Steht dran.«
»Ich bin Commissario Laurenti, Kriminalpolizei.« Der zweite, kleinere Mann stand auf und ging wortlos auf den Kutter, neben dem sie arbeiteten.
»Und?« fragte der Ältere.
»Kannten Sie Marasi?«
»Weshalb?«
»Gute Frage! Weshalb fragt die Polizei das wohl? Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Keine Ahnung. Das ist schon ein paar Tage her. Er durfte nicht mehr fahren. Wegen des Unfalls.«
»Welcher Unfall?«
»Giuliano Scropetti, Dienstag morgen. Fragen Sie die Capitaneria, wenn Sie’s wissen wollen.«
Die ersten dicken Regentropfen klatschten auf die Mole. Der Fischer erhob sich und rief. »Gino, wirf mir meine Jacke rüber!« Kurz darauf klatschte eine schwere Regenjacke auf den Asphalt. Der Fischer hob sie auf und zog sie an. Laurenti stand im Jackett vor ihm und erntete einen verächtlichen Blick.
»Hatte Marasi irgendwelche Feinde?«
»Gute Frage! Ja!«
»Und
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