Die Toten von Bansin
Herren aufmerksam zugehört hatte, befand sie zum einen, dass diese lange nicht so schlau waren, wie sie selber glaubten, zum anderen, dass die Sache mit der Marktwirtschaft eigentlich ganz einfach sei. Letztlich reduziert sich alles auf Angebot und Nachfrage. Der Optimismus, den diese Leute in Bezug auf die Nachfrage entwickelten und der sich mit zunehmendem Alkoholgenuss in Euphorie steigerte, schien Berta ziemlich überzogen und widersprach auch völlig ihrer Natur. Immerhin bestärkten diese Tiraden sie aber in ihrem Entschluss, das Haus zumindest vorläufig nicht zu verkaufen. Die sonst so freundliche, offene und herzliche Wirtin konnte diesen Goldgräbern und all ihren Nachfolgern keinerlei Sympathie entgegenbringen. Als sie ihrer Nichte Sophie von ihnen erzählte, versicherte sie: »Du kannst mir glauben, wenn du dir die eine Weile anguckst und denen zuhörst, hast du danach das dringende Bedürfnis, einen Hering zu streicheln, oder eine Möwe freundlich zu grüÃen.« Auf der anderen Seite wurde ihr von Jahr zu Jahr klarer, dass sie die Pension auf Dauer nicht weiter betreiben konnte.
So hatte Sophie nach ihrer Flucht aus Berlin in Bansin eine ziemlich ratlose Tante vorgefunden. Eigentlich war sie selbst hergekommen, um Trost und Ruhe zu finden. Aber das Haus war in einem viel schlechteren Zustand, als sie es in Erinnerung hatte und Berta hatte sich gerade schweren Herzens durchgerungen, nun doch zu verkaufen. Den Entschluss, die Pension zu übernehmen und damit für immer hierzubleiben, machte Sophie sich nicht leicht. Berta wagte nicht, ihrer Nichte zu diesem Schritt zu raten, auch wenn sie selbst sich nichts sehnlicher als das wünschte. Aber dann entschloss sich Sophie tatsächlich, einen hohen Kredit aufzunehmen. Das Konzept ihres Unternehmensberaters überzeugte die Bank und im Hinterkopf gab ihr der Gedanke Mut, das Haus jederzeit gewinnbringend verkaufen zu können.
So fiel es Berta leicht, aus der groÃen Villa, in der sie ihr ganzes Leben lang gewohnt hatte, in ein kleines Häuschen ganz am Ende der Strandpromenade zu ziehen. Inzwischen ist das Kehr wieder auch auÃerhalb der Saison recht gut belegt und die alte Frau ist stolz auf ihre Nichte, die das Geschäft offenbar gut im Griff hat. Zufrieden wirft sie einen Blick hinüber auf den alten Familienbesitz, bevor sie zum Strand abbiegt.
Schon bevor sie die Fischerhütte betritt, hört Berta die Stimmen von Paul Plötz und Steffi Bach, die sich angeregt unterhalten. Sie ist angenehm überrascht. Der Fischer ist eigentlich nicht dafür bekannt, schnell Freundschaften zu schlieÃen, vor allem kann er Fremde in seiner Hütte nicht leiden. Aber die rundliche Frau mit dem Kölner Dialekt hat anscheinend den richtigen Nerv bei ihm getroffen. Erstaunt hört Berta, dass die beiden sich bereits duzen. Plötz bemüht sich sogar, hochdeutsch zu sprechen, nur hin und wieder mit etwas Plattdeutsch durchsetzt. Aber Begriffe wie »Tüdelkram« oder »de Kanzlersch« versteht sogar eine Rheinländerin.
Die steht jetzt vom Küchenstuhl neben dem Ofen auf. »Mir ist das hier sowieso zu warm«, erklärt sie. »AuÃerdem wollte ich schon immer mal auf einer Fischkiste sitzen.« Sie lässt sich vorsichtig nieder und lächelt die beiden Einheimischen an. »Herrlich«, erklärt sie, »genau so habe ich mir meinen Urlaub vorgestellt.«
»Sind Sie ganz allein hier in Bansin?«, fragt Berta.
»Ja. Ich war zur Kur, in Heringsdorf. Ich habâs mit der Luft, wissen Sie. Lunge, Bronchien, na ja, solche Sachen eben. Der Arzt sagt, ich soll abnehmen, was natürlich Quatsch ist, schlieÃlich wiege ich hier genauso viel wie in Köln und bekomme viel besser Luft. Dann war die Kur zu Ende und ich hatte überhaupt keine Lust, nach Hause zu fahren. Also hab ich mir ein Zimmer genommen, hier in der Seeresidenz , erst einmal für zwei Wochen. Aber ich glaube, ich möchte noch länger bleiben. Nur wird mir das Hotel auf Dauer zu teuer. Mal sehen, ob ich etwas Preiswerteres finde, vielleicht eine Ferienwohnung. Da könnte ich dann auch selbst kochen.«
Sie sieht Berta abwartend an. Die nickt. »Klar. Bei Brinkmann können Sie auf Dauer nicht bleiben, der hat das teuerste Hotel im Ort. Die Ferienwohnungen sind bald alle leer. Allerdings wollen viele nicht mehr vermieten, weil es sich nicht lohnt, wenn geheizt werden muss. Aber ich höre mich
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